Luxemburg-City, Dreikönigsgasse, 1994. Im Drei-Sekundentakt knackte der Mann mit dem eisernen Ketten-Handschuh frische Austern und schichtete sie dabei auf einer reichlich mit dunkelgrünem Seetang verzierten Platte turmhoch, bevor sie, mit einigen goldgelben Zitronen garniert, von einem livrierten Kellner ins benachbarte Restaurant getragen wurden. Wir standen auf der Straße und schauten fasziniert weiter zu, wie Monsieur Eisenhand da in der Altstadt vor seinem kleinen Lädchen die Krusten knacken ließ. So etwas hatte ich außerhalb der Bretagne noch nie gesehen. Auch das Restaurant, in das alle fünf Minuten ein riesiges Plateau mit in der Sonne glitzernden Austern gebracht wurde, weckte meine Neugier.
Als wir es zehn Minuten später betraten, waren wir in einer anderen Welt. Ein weiß behandschuhter Kellner brachte uns zu einem Tisch, alles war mit feinster, knisternder Wäsche und blitzendem Geschirr eingedeckt. Die Decke des Restaurants bestand zum größten Teil aus einem riesigen Aquarium, in dem schillernde Fische, dezent ausgeleuchtet, ihre Kreise zogen. Eigentlich wollten wir nur ein paar Austern schlürfen, und nun saßen wir etwas eingeschüchtert in diesem prachtvollen Ambiente.
Meine Jugendfreundin und ich machten das Beste draus. Wir bestellten eine größere Meeresfrüchteplatte vorweg. Was dann aber an Zangen, Gäbelchen und sonstigem Spezialwerkzeug neben unseren Tellern aufgereiht wurde, war erneut etwas beunruhigend, zumal wir damals tatsächlich keine Ahnung hatten, wie man damit hantieren sollte. Unserem besonders hochnäsigen Kellner blieb das nicht verborgen, und feixend schleppte er die Platte mit Krebsen, Langustinen, Hummerteilen und Austern heran, um sich anschließend in Sichtweite aufzustellen. Er wollte wohl genüsslich zusehen, wie wir scheiterten.
Glücklicherweise wurden an zwei benachbarten Tischen von erfahrenen Essern ebensolche Plateaus verputzt, und da Lernen am besten durch Zuschauen funktioniert, konnten wir diese köstliche Mutprobe ein wenig unbeholfen, aber am Ende ohne allzu große Blamagen meistern. Der arrogante Kellner war etwas enttäuscht. Beim Abräumen bemerkte er sarkastisch, wir hätten ja gar nicht den Seetang probiert, der sei doch schließlich das Beste. „Dann können Sie uns den ja einpacken“, gab ich ebenso sarkastisch zurück, und damit hatten wir die Lacher der übrigen Kellner auf unserer Seite.
Das Hauptgericht an diesem denkwürdigen Abend waren Krustentiere in einer pikanten Sauce, die ich hier nachgebastelt habe. Man könnte sagen, es handelt sich dabei um eine sehr schlichte Version der Sauce Armoricaine, sie ist sehr würzig, pikant und schnell gemacht.
(Für 2 Personen)
4 Rosenberg-Garnelen, mit scharfer Klinge längs halbiert
6 Jakobsmuscheln, ausgelöst und ohne Corail
2 Zweige mit fruchtigen Rispentomaten
2 Pulpo-Arme, 40 Minuten mit 2 Lorbeerblättern geköchelt und dann im Sud abgekühlt
1 Glas Krustentierfond, auf 200 ml eingekocht
1 Zehe Knoblauch, im Knoblauchschneider mikroskopisch fein gewürfelt
1–2 Espressotassen voll Sahne
2 EL Tomatenmark
Piment d‘Espelette oder Chiliflocken
Cayennepfeffer
Salz oder Fleur de sel
Eine große Pfanne mit etwas Pflanzenöl heiß werden lassen, und die Jakobsmuscheln von jeder Seite eine Minute braten, dann in einer Schale im Backofen bei 80 Grad zusammen mit den kleinen Tomaten warmstellen. Nun die halbierten Großgarnelen von jeder Seite eine Minute braten und zu den Jakobsmuscheln legen. Danach die grob zerteilten Arme des Pulpo anrösten und zu den übrigen Meeresfrüchten in den Ofen tun.
Jetzt die Pfanne beiseite ziehen und kurz darauf bei geringer Hitze den Knoblauch hineingeben. Der darf keinesfalls verbrennen. Danach kommt das Tomatenmark hinzu, und nach wenigen Augenblicken wird mit dem reduzierten Fond abgelöscht und alles zusammen bei hoher Temperatur eingekocht. Etwas Sahne dazugeben und mit Cayennepfeffer, Chiliflocken und Salz abschmecken. Die Meeresfrüchte kommen jetzt zurück in die Pfanne, und die setzen wir so auf den Tisch, zusammen mit einer Flasche frischem Weißwein, zum Beispiel einem Sancerre von Henri Bourgeois. Einfach köstlich. À bientôt!
p.s.: Wenn man heute die Dreikönigsgasse in Luxembourg hochgeht, wird man dort noch immer vom Austernknacker mit dem eisernen Handschuh unterhalten. Das Restaurant dagegen ist nicht wiederzuerkennen. Es ist heute das, was wir damals erhofften, ein einfaches Bistro. Keine dicken Teppiche mehr, verschwunden das monströse Aquarium, blankes Holz statt feiner Tischwäsche. Und den hochnäsigen Kellner in seinen weißen Handschuhen habe ich auch nicht mehr gesehen. Hoffentlich haben sie ihm noch ein bisschen Seetang mitgegeben.