Einmal habe ich Wolfram Siebeck gesehen. Es muss so um 2006 gewesen sein, im Berliner Sternerestaurant „Rutz“. Er saß zwei Tische weiter, alleine. Und wie es sich für den Urvater aller Restaurantkritiker geziemt, war er umringt von zahllosen Gläsern und Tellern und unaufhörlich wurden neue Gläser und Teller gebracht. Es war ein Schauspiel!
Am liebsten wäre ich aufgestanden und hinübergegangen, um mich bei ihm zu bedanken. Die Bedeutung von Siebeck für unsere Alltagsküche kann man nämlich heute gar nicht hoch genug einschätzen. Es waren Leute wie er und eine Handvoll ambitionierter Profiköche, die seit den 70er und 80er Jahren unaufhörlich für höhere Qualitäten bei Produkten und Kochtechniken trommelten – und damit letztlich Erfolg hatten. Dry aged beef, Hochseefisch und Krustentiere, aber auch viele für uns heute alltägliche Dinge wie Creme fraîche, selteneres saisonfrisches Gemüse oder Meersalz, solche Sachen gab es vor 30, 40 Jahren in Deutschland fast nirgendwo zu kaufen, ganz zu schweigen von Kalbsfond oder französischem Geflügel. Siebeck hat uns für immer befreit von Dosenspargel und Mehlschwitzen, von der “Plumpsküche”, wie er es nannte. Leider bin ich damals an jenem Abend im „Rutz“ nicht aufgestanden, um mich zu bedanken. Deshalb wird das jetzt hier nachgeholt.
Letztens schaute Frau Knauber von einem französischen Krimi auf und fragte mich erwartungsvoll: „Kannst Du eigentlich auch Blanquette de Veau?“ Da tauchte Siebeck in meinen Gedanken wieder auf. Ich erinnerte mich, dass der Meister dieses wundervolle französische Kalbsragout einst interpretiert hatte und ich fand es tatsächlich im Siebeck-Band „Alle meine Rezepte“. Das Blanquette ist ein Klassiker der bürgerlichen französischen Küche. Das Besondere an diesem Ragout ist, dass hier das Fleisch nicht angebraten, sondern nur leise geköchelt wird. Das macht dieses Gericht trotz der Sahne sehr leicht und angenehm bekömmlich. Hinzu kommt eine ganz besondere Liaison von Sahne, Nelken und Zitrone. Aber lest selber:
1 kg Kalbsgulasch von der Brust oder vom Tafelspitz
1 Stange Lauch, der Länge nach geviertelt
1 große weiße Zwiebel, geachtelt; in jedes Achtel eine Gewürznelke gespießt
1 große Karotte, geschält und grob zerteilt
Ein daumengroßes Stück Sellerie, grob gewürfelt
6 weiße Pfefferkörner
1 EL Thymian
3 Knoblauchzehen, ungeschält, etwas angequetscht
2 Lorbeerblätter
8 nicht zu große Schalotten, geschält
250 g Champignons, ohne Stiele, geviertelt
3-4 Löffel Demi glace (hoch konzentrierter, gelierter Kalbsfond)
6 EL Noilly Prat (Wermut, notfalls durch dry Martini ersetzbar)
Saft einer Zitrone
1/2 Liter Schlagsahne
weißer Pfeffer
Die Fleischwürfel in sprudelnd kochendem Salzwasser eine Minute blanchieren, dann in ein Sieb abgießen. Jetzt das Fleisch mit dem Lauch, der Karotte, den Zwiebelachteln, dem Sellerie, dem Knoblauch, den Pfefferkörnern, dem Thymian und dem Lorbeer in kaltem Wasser aufsetzen und langsam zum Köcheln bringen. Einen TL Salz sollte man noch zugeben. Und nun darf der Topf offen für anderthalb Stunden zart köcheln. Betonung auf „zart“, denn wenn es im Topf heftig kochen würde, ist das Fleisch schnell faserig und trocken.
Erst nach einer Stunde geben wir die geputzten Schalotten dazu, sie sollen nämlich nicht zerfallen. Dann werden die Champignons in einer Mischung aus Butter und Pflanzenöl scharf angebraten, mit Sahne begossen, mit Zitronensaft beträufelt und beiseite gestellt. Sie kommen erst ganz zum Schluss hinzu.
Nach anderthalb Stunden gießen wir die Bouillon durch ein Sieb ab, fischen Fleischwürfel, Schalotten und ein paar Karottenstückchen aus dem Sieb und stellen sie im Backofen bei 50 Grad warm. Etwa die Hälfte der Bouillon friere ich ein, die andere Hälfte wird stark eingekocht. „Jetzt beginnt die Geburt der Sauce“, schreibt Siebeck an dieser Stelle, und so ist es! Während des Einkochens gebe ich ordentlich Sahne hinzu und lasse alles noch weiter einkochen. Das wiederhole ich mehrfach, bis die Sahne alle ist. Demi Glace, Salz, weißer Pfeffer, ein Schuss Noilly Prat, weiter einkochen. Wie stark man diese Sauce einkochen lässt, ist Geschmackssache. Sie wird dabei immer dichter und intensiver. Ich mag sie hier gern nicht zu konzentriert, damit sie ihre Leichtigkeit behält. Zuletzt gebe ich die Champignons dazu und noch etwas Zitronensaft. Eventuell mit etwas Speisetärke oder eiskalten Butterstückchen binden. Stimmt die Balance zwischen Nelken, Sahne und Zitrone? Wenn alles perfekt ist, kommen jetzt die Fleischwürfel und die Schalotten wieder dazu. Das Ergebnis ist sahnig, würzig, aber auch angenehm frisch durch den Zitronensaft. Ein kleines Kunstwerk, von Siebeck modernisiert, denn im französischen Original geht es mit Mehlbutter und Eigelb noch etwas deftiger zur Sache.
Frau Knauber war übrigens davon begeistert. „Danke nicht mir, sondern Siebeck, wenn ich schon die Gelegenheit versäumt habe“, antwortete ich – und hob mein Glas auf den Meister. À bientôt!
p.s.: Der Wein im Glas könnte ein kraftvoller Grauburgunder sein, aber auch ein Vin Jaune aus dem Jura oder sogar ein weißer Port.
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