Von Acrylamid, Europa und Tweed
Ich kenne einen Bäcker, der hat ein sehr dunkel gebackenes sogenanntes “Premium”-Sauerteigbrot im Sortiment, und das ist außen herrlich kross – man schmeckt regelrecht den Holzofen. Innen drin ist es total dicht und saftig, und das liegt daran, dass durch die dicke Kruste die Feuchtigkeit schön im Brot bleibt, wo sie ja auch hingehört. Leider komme ich bei diesem Bäcker nicht oft vorbei. Aber wenn, dann ist dieses Brot ein echtes, kleines Krönchen auf dem Wochenende. Ich sollte mir ab jetzt öfter mal ein “Premium” gönnen, denn in zwei Jahren ist es wohl damit zuende. Die EU will nämlich alles, was zu dunkel gebacken, zu stark gebräunt oder zu heiß frittiert ist, ab 2019 verbieten, so ist dieser Tage zu lesen. Auf diese Weise werden wir nach Jahrtausenden einer völlig verantwortungslosen Fehlernährung mit dunklem Brot glücklicherweise endlich vor Acrylamid beschützt.
Man sollte eigentlich annehmen, nach dem Brexit-Entscheid der Briten und großer Euroskepsis in vielen EU-Ländern hätten sie in Brüssel irgendwie den Schuss gehört. Fehlanzeige. Um es klarzustellen: Ich bin – an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen – schon zeitlebens ein großer Europa-Fan, und 72 Jahre Frieden hat unser Kontinent zuvor noch nicht gesehen. Ich kenne auch einige Mitarbeiter von europäischen Institutionen und bewundere ihr Engagement. Umso stärker lässt eine kleinkarierte Nanny-Politik wie diese bei mir immer wieder die Sorge aufkommen, dass das europäische Projekt eines Tages an fehlender Akzeptanz aufgrund solchen fortgesetzten, vermeidbaren Humbugs scheitern wird.
Wer glaubt, ein Aufkleber an der Fritteuse zur Visualisierung des politisch korrekten Bräunungsgrades für Kartoffelstäbchen würde irgendein Problem lösen, ist nicht nur auf dem Holzweg, sondern völlig wirklichkeitsfremd. Kuriose Zeiten: Zivilcourage könnte sich schon bald darin äußern, dass man sich labberige, blasse Pommes nicht gefallen lässt und ebenso couragierte Köche findet, die auf solche Regulierungen pfeifen. Oder werden die Fritteusen dann per EU-Verordnung in ihrer Leistung gedrosselt?
Wie stark ein Staubsauger saugen darf, wie krumm eine Gurke zu sein hat oder wie hell ein Brötchen sein muss: Solche Themen sind in meinen Augen nichts anderes als Ersatzpolitik, zu der man greift, wenn man sich nicht traut – oder zu inkompetent ist, echte Probleme anzupacken. Wie wär’s mit Jugendarbeitslosigkeit? Oder mit qualitätsorientierter Landwirtschaftspolitik? War da nicht auch noch diese Finanzwirtschaft zu regulieren, die vor ein paar Jahren mal eben ein paar Billionen Euro pulverisiert hat?
Ich mag dunkles Brot. Und ich mag Europa. Beides sollten wir uns nicht von Leuten kaputt machen lassen, die angesichts eines scharf gebackenen Roggenbrötchens Schnappatmung bekommen. Mal sehen, ob Vernunft einkehrt. Man sollte seine Hoffnungen zum Beispiel auf die Belgier setzen, die die Pommes angeblich erfunden haben und den EU-Beamten sicherlich gleich vor der eigenen Haustür die Meinung geigen beziehungsweise brutzeln werden.
Falls die Bürokratie sich aber doch durchsetzt, hat mein alter Freund Eugen beste Karten. Er liebt nämlich dunkel gebackenes Brot, spricht verhandlungssicher Englisch und hat die besten Tweed-Sakkos im Schrank, die man je gesehen hat. Mit derart stilsicherer Ausstattung wird er dann ganz bestimmt ab und zu für einen knusprigen Teller Fish and Chips nach London reisen. Dann fahr ich mit. À bientôt!
Karl Gabriel 16. August 2017 @ 23:54
Hallo lieber Herr Rainer,
gerade sitze ich mit dem genannten Eugen bei einem bzw. mehreren Gläsern Ahr-Weissburgunder, und wir können einfach nur zustimmen. Es gibt wichtigere Themen als “Pommesbräune”. Übrigens, meine Mutter ist mittlerweile 95 Jahre alt. Mit ihr gehe ich gerne zu einem Argentinier in Porz-Köln essen.
Sie bestellt immer Nr. 605 mit Pommes, die aber unbedingt gut braun sein müssen. Die isst sie auch immer auf. Das Fleisch wird eingepackt und für den Rest der Woche verwendet.
Hoffentlich lesen sehr viele überzeugte Europäer Ihren Blog; denn eigentlich kann man das gar nicht anders sehen. Sie haben das treffend auf den Punkt gebracht. Gratulation.
Viele Grüsse aus Luxemburg
Karl Gabriel und EU
AH 23. Juli 2017 @ 18:28
Premium muss Premium bleiben! Das gibt es künftig dann unter der Ladentheke, von wo man heute zum Beispiel auch richtige Glühbirnen kauft. In der Auslage liegt dann artig das weiße salzfreie Labber-Baguette. Sehen wir es mal positiv: Durch das konsequente EU-Verbot von vielem, das Freude bereitet, wird dieses wieder ganz exklusiv. Nur die Mutigen und Verwegenen knuspern das Premium-Brot. So rettet die EU für uns das Besondere.