Unter die Haut: Huhn mit Gewürzfüllung
Wenn man von einem 10-Meter-Brett springt, dauert es 1,5 Sekunden, bis man ins Wasser eintaucht. Die Fallgeschwindigkeit überschreitet mit 50 Stundenkilometern so manche innerörtliche Verkehrsregel. In meiner Kindheit war das 10-Meter-Brett im Schwalbacher Freibad die ultimative Mutprobe.
Auch in der Küche gibt es größere und kleinere Mutproben, Sachen, an die man sich nicht so herantraut. Bei mir waren es zum Beispiel Rezepte, bei denen man Füllungen unter die Haut von Geflügel bringen muss. Ich stellte mir immer vor, dass die Haut reißen würde und überhaupt war die Vorstellung, mir unter der Haut des Flattermanns mit bloßen Händen zu schaffen zu machen irgendwie unangenehm. Als ich dann im “Feinschmecker” dieses Rezept mit meinem Freund Matthias entdeckte, wollten wir es wegen der orientalisch anmutenden Menge und Vielfalt an Gewürzen aber unbedingt probieren. Der 10-Meter-Brett-Moment war gekommen. Und so ging das:
1 Huhn aller bester Qualität von 2 kg
100 ml Wermut (Noilly Prat)
100 ml Wasser
Für die Gewürzfüllung unter der Haut:
4 Scheiben Toastbrot, entrindet, im Blitzhacker gehackt
5 grüne Kardamomkapseln, aufgebrochen, Samen herausgelöst
2 EL Anissaat
½ EL Zimt
50 g frischer Ingwer, fein gerieben
4 EL flüssiger Honig
40 g Butter
Für die Füllung in der Bauchhöhle:
2 kleine Äpfel (säuerlich, z.B. Elstar) (gewaschen, entkernt, geviertelt, grob gewürfelt)
6 Zweige Rosmarin, gedrittelt
6 Stiele Thymian
1 TL schwarze Pfefferkörner, grob gemörsert
1 TL Fleur de Sel
Für das Gemüse:
300 g Kohlrabi, geschält und in Stücke von 2 cm Kantenlänge geschnitten
150 g Bundmöhren, geschält und in Stücke von 2 cm Kantenlänge geschnitten
150 g Rübchen nach Saison, geschält und in Stücke von 2 cm Kantenlänge geschnitten
3 Knoblauchzehen, geschält und geviertelt
129 g Schalotten, geschält und halbiert
3 Lorbeerblätter
200g kleine weiße und braune Champignons, geputzt, entstielt und halbiert
20 g Butter
Schwarzer Pfeffer
Fleur de Sel
Pflanzenöl
Zunächst wird die Gewürzfüllung hergestellt, die dann unter die Haut kommt. Dafür Zimt, Anis, Kardamomsamen und Brotbrösel im Mörser fein zermahlen und mit dem Ingwer in einer Pfanne bei mittlerer Hitze leicht anrösten. Der Duft macht einen verrückt. Honig und Butter zugeben und weiter unter Rühren erhitzen, bis sich die Butter aufgelöst hat. Die Masse jetzt beiseitestellen und abkühlen lassen.
Nun kommt die Füllung unter die Haut. Und das geht mit bloßen Händen am besten. Die Brusthaut am Eingang zur Bachhöhle leicht anheben und mit den Fingern zwischen Brustfleisch und Haut fahren. Dabei immer weiter vortasten und die Haut vorsichtig lösen, bis zum Ansatz der Schenkel. Es geht viel leichter, als ich dachte! Die Füllung nun mi einem Spitzbeutel unter die Haut spritzen oder portionsweise mit den Fingern unter die Haut schieben. Mit etwas Geduld und sanftem Druck von Außen lässt sich die Füllung nun ganz gut gleichmäßig unter der Haut verteilen.
Dann die Apfelwürfel mit 2/3 des Rosmarins, 2/3 des Thymians, Fleur de Sel und dem schwarzen Pfeffer vermischen und in die Bauchhöhle füllen. Die Keulen nun mit Küchengarn an den Enden zusammenbinden. Unser prächtiges, zweifach gefülltes Huhn kommt jetzt in einen großen Gusstopf. Den Noilly Prat und das Wasser angießen und im vorgeheizten Backofen bei 180 Grad 40 Minuten mit Deckel garen. Nun kommen die Würfel von Kohlrabi, Möhrchen und Rübchen in den Gusstopf dazu, zusammen mit dem Knoblauch, den Schalotten und dem Lorbeer. Ohne Deckel weitere 40 Minuten garen, unverändert bei 180 Grad.
Fast geschafft. Nach dem Ende der Garzeit unser unglaublich duftendes Huhn herausnehmen und in Alufolie im ausgeschalteten Backofen warmstellen. Das Gemüse im Bräter nun noch einmal mit Butter erhitzen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Pilze in einer Pfanne mit dem restlichen Rosmarin und Thymian in Pflanzenöl anbraten, salzen und pfeffern. Zum Servieren das Huhn mit den Champignons zum Gemüse in den Bräter geben.
Die Arbeit hat sich gelohnt! Der Duft haut einen um, das Fleisch ist wunderbar zart und das Gemüse hat sich mit dem Bratensaft köstlich verheiratet. Dazu gab es einen gut gekühlten Traminer aus Sachsen, der trocken ausgebaut ist, aber mit seiner Würzigkeit ein perfektes Match mit unserer Füllung ist.
Nachdem ich jetzt weiß, dass das sprichwörtliche unter-die-Haut-gehen bei Geflügel halb so schlimm ist, werde ich es sicher öfter mal tun. Zum Beispiel mit Trüffeln und viel Butter à la Bocuse. Meine Angst ist jedenfalls weg. Anders als die Angst vor dem 10-Meter-Brett in Schwalbach. Ich glaube, ich habe mich nur ein einziges Mal überwinden können. Und auch da bin ich mir nicht so ganz sicher. À bientôt!
p.s.: Wer sich beim Foto über die dunkle Farbe der Hühnerbrust wundert: Nein, sie ist nicht angebrannt. Das ist die Füllung unter der Haut, die wie gewünscht dunkel geworden ist, was man durch die dünne Haut sehen kann. Soll also so sein.