Über Klopse und Vernunft
Hätte der Philosoph Immanuel Kant sich nicht so viel mit Vernunft beschäftigt, würde die Welt heute anders aussehen. Von Königsberg, seinem Wohn- und Arbeitsort, verbreitete er im beginnenden 19. Jahrhundert die Denkrichtung der Aufklärung und appellierte an die Menschen, ihren Verstand rational zu gebrauchen. Der noch aus dem Mittelalter überkommene Glaube an Dämonen, der Aberglaube, die Angst vor dem bösen Blick und metaphysische Geheimnisse, all das verschwand aus den Köpfen der Menschen. Der meisten Menschen jedenfalls.
Neben wichtigen und neuen Gedanken kann man dem großen Kant übrigens zu einem großen Teil auch den Siegeszug der Königsberger Klopse in der deutschsprachigen Küche zuschreiben. Die saftigen Klößchen ließ er nämlich oft und gern für sich und seine zahlreichen, weitgereisten Gäste servieren. Und so fand sich das ostpreußische Signaturgericht ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach und nach auf den Speisekarten und in den Kochbüchern der bürgerlichen Häuser in deutschen Landen wieder. Die Klopse sind bis heute eine Versuchung für die gehobene Küche: Außer ihnen ließ Küchenpapst Wolfram Siebeck nicht viel aus dem Repertoire der deutschen Hausmannskost gelten, Witzigmann, Schuhbeck und sogar Tim Raue arbeiteten sich mit eigenen Variationen an den kleinen, sauren Klößen ab.
Als ich kürzlich mit Kollegen in einem wunderschönen brandenburgischen Landgasthaus (https://bit.ly/2P2cesR) zu Tisch saß, gab es Königsberger Klopse vom Wild. Ich gebe zu, dass ich misstrauisch war. Denn Klopse müssen ja eigentlich mit feinem Kalbshack gemacht werden. Und doch: Es war derart spektakulär und köstlich, dass mich die saftigen Dinger nicht mehr losgelassen haben. Und so wanderten eines freitags wie von selbst Stücke von Wildschwein und Hirsch in den Einkaufswagen, und dann passierte folgendes:
Für die Klopse (4 Personen):
700 Gramm vom Wildschwein (Keule)
300 Gramm vom Hirschrücken
150 Gramm bester Lardo (Collonata), notfalls geräucherter weißer Speck
1 Glas Kapern (40 Gramm, eingelegt)
3 EL Salz
2 EL weißer Pfeffer (ich bevorzuge die Mélange Blanc von Ingo Holland)
2 EL Majoran (Thüringen)
3 EL gehackte Petersilie
2 Eier
1 Schnapsglas Gin oder Wacholderschnaps
50 Gramm Semmelbrösel
Für die Sauce:
1,5 l Kalbsfond
1 weiße Zwiebel, fein gehackt
Sahne nach Geschmack
Salz
Weißer Pfeffer
1 kleines Glas Kapern (40 Gramm, eingelegt)
Saft von 1/2 Zitrone
Für den Rosenkohl:
700 Gramm Rosenkohl, geputzt und halbiert
30 Gramm Parmesan, fein gerieben
Rosenkohl-Marinade:
3 EL flüssiger Honig
1 TL brauner Zucker
1 TL Salz
2 EL Terijakisauce
2 EL Portwein (Tawny)
1 Zehe Knoblauch, fein gehackt
Zuerst kümmern wir uns um den Rosenkohl. Wer ihn in der Kindheit immer verkocht und kohlig riechend vorgesetzt bekam, wird hier Vorbehalte haben. Hatte ich auch, aber so wird daraus ein Genuss. Die Zutaten der Marinade gut verrühren, über die Rosenkohlhälften gießen und alles in einem Gefäß gut vermischen. Nun schieben wir den Kohl in einer Auflaufform für 20 Minuten in den auf 210 Grad vorgeheizten Backofen. Dann die kleinen Kohlköpfchen wenden und für weitere 20 Minuten in den Backofen schieben. Herausnehmen, mit Parmesan bestreuen und beiseite stellen. Kurz vor dem Servieren kommen wir wieder auf diesen Rosenkohl zurück. Nur soviel: In dieser Form ist er eine köstliche Beilage zu aromenstarker Winterküche und fast schon ein Essen für sich. Macht ruhig etwas mehr davon, es wird nichts übrig bleiben.
Während der Rosenkohl also im Backofen seiner Veredelung entgegenschmort, bauen wir den Fleischwolf auf (Anmerkung von Frau Knauber: Wir? Soso.). Das Fleisch und den Speck in Würfel schneiden, dabei nicht zu viel vom Lardo wegnaschen und einmal durch die mittlere Scheibe durchdrehen. Mit allen übrigen Zutaten gut verkneten und Kugeln von etwa 80 Gramm formen. Diese geben wir jetzt in den minimal köchelnden Kalbsfond und garen sie schwimmend für ca. 15 Minuten. Dann aus der Flüssigkeit heben und im Backofen bei 80 Grad warmstellen.
Nun ist der perfekte Zeitpunkt, die Kartoffeln zu schälen und aufzusetzen. Dann wird alles zeitgleich fertig. Für die Sauce jetzt den Fond auf einen halben Liter einkochen. Währenddessen in einer Kasserolle die Zwiebelwürfel in Pflanzenöl bei mittlerer Hitze glasig werden lassen. Dann mit dem reduzierten Fond aufgießen und die Kapern dazugeben. Noch etwas köcheln lassen. Einen Guss Sahne dazu. Wieder einköcheln lassen. Jetzt mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken und zuletzt dieses Prachtsößchen binden. Die Klopse in die Sauce geben und das Ganze warm halten. Endspurt. Der Rosenkohl geht nochmal für zwei Minuten in den Backofen und wird kurz übergrillt. Jetzt ist alles fertig und kann angerichtet werden. Es ist ein sehr winterlicher Teller, und mit seinen starken Aromen haben wir hier eine sehr opulente, handfeste Variante der ja eher zarten Königsberger Klopse vor uns. Aber es funktioniert!
Dazu hätte sicher auch Immanuel Kant einen exzellenten Spätburgunder, zum Beispiel von Petgen-Dahm von der Obermosel, vernünftig gefunden.
p.s. Im Originalrezept kommen noch feingehackte Sardellen unter das Kalbshack. In einfacheren Spielarten dieses Gerichts verwendeten die Ostpreußen auch bisweilen eingelegte, gehackte Heringe. Das war mir dann, nach rationalem Gebrauch meines Verstandes, in der Kombination mit Wild einfach zu wild. À bientôt!
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