Röstzwiebeln zum Reinlegen
Ich habe mal 24 Stunden bei 60 Grad geschmortes Rindfleisch gegessen. Klar war es zart, aber auch ein bisschen tranig, wenn man ehrlich ist. Da sich dies in einem hoch dekorierten Dreisterne-Haus ereignete, gingen alle Gäste an dem langen Tisch höflich darüber weg – oder sie haben es wirklich nicht gemerkt. Und doch sind es manchmal gerade diese Gerichte, die mich magisch anziehen. Es kommt mir dabei gar nicht so sehr darauf an, dass es sich vielleicht um Kobe-Rindfleisch mit Marmorierungsgrad 4 handelt oder dass das Gemüse im garantiert Bio-zertifizierten Hofgarten hinterm Haus gewachsen ist. Was mich an diesen Gerichten fasziniert, sind auch nicht die mitunter hochpreisigen Gewürze, die meist schon weiter gereist sind als ich. Mir geht es vielmehr um den verschwenderischen Einsatz von Zeit, unserem kostbarsten Besitztum.
Wer zum ersten Mal bei Niedrigtemperatur eine Lammschulter gegart hat und sie nach sieben Stunden aus dem Ofen zieht, wird nie vergessen, wie wichtig die Zeit als zentrale Zutat bei manchen Gerichten sein kann. Zeit, die langsamste und schonendste Garung erlaubt, in der die Gewürze auf einem Braten nicht verbrennen, sondern in der milden Hitze immer aromatischer werden, während sich ganz gemächlich eine immer knusprigere Kruste bildet. Es ist genau diese Zeit, die wir im normalen Alltag selten haben und nur ungern an Wochenenden opfern. Und die auch nur in den wenigsten Restaurants und Profiküchen zur Verfügung steht, weshalb dort Kurzgebratenes ganz oben auf der Speisekarte steht. In seinem Kochbuch “La Cuisine du Marché” beklagt dies schon 1976 Paul Bocuse und trauert den Epochen nach, in denen Schmorstücke noch so lange gegart wurden, dass man sie dem Gast nur mit einem Löffel servierte. Ich verspreche Euch: Demnächst holen wir diese Epoche zurück und probieren das aus!
Doch der Braten ist gewissermaßen das Ende der Nahrungskette. Am Anfang steht das Gemüse, das ebenfalls denjenigen belohnt, der bereit ist, neben Spaß am Kochen auch Zeit mitzubringen. Die folgende Röstzwiebelbouillon ist eine Delikatesse. Aber schon der Gemüsefond braucht 24 Stunden, bevor er perfekt ist und die Bouillon dann noch einmal drei bis vier Stunden. Als ich mal sehr viel Zeit hatte, habe ich dieses Projekt in Angriff genommen. Und das verlief so:
Für unseren Gemüsefond, die Basis der Suppe, benötigen wir
2,5 l wasser
1/2 Fl Weißwein, am besten ein säurearmer Chardonnay
1/2 TL Fenchelsamen
1/2 TL Senfkörner
1/2 EL Piment
1 Lorbeerblatt
1/2 Fenchelknolle
3 Zwiebeln
1,5 Stangen Lauch
7 Karotten
1/2 Knolle Sellerie
Zunächst brauchen wir einen sehr großen Topf. Die grob zerteilten Gemüse und Gewürze setzen wir zunächst mit dem Weißwein kalt auf und lassen das Ganze kurz aufkochen, dann kommt das Wasser dazu. Nochmal kurz aufkochen lassen und dann 4 Stunden mit geschlossenem Deckel leise köcheln lassen. Dann wird der Topf für einen Tag in die Kühlung gestellt, damit auch der letzte verfügbare Geschmack aus dem Gemüse herauszieht und unseren Fond zu einer köstlichen Basis für Suppen und Saucen macht. Am nächsten Tag noch einmal kurz aufkochen und dann durch ein sehr feines Sieb abgießen. Gemüse kann weg, der Fond kommt zurück in den Topf, wo er jetzt nach Bedarf eingekocht und leicht gesalzen wird. Was wir hier im Topf haben, unterscheidet sich fundamental von den dürftigen Gemüsefonds aus dem Glas, die wir mangels Zeit leider doch immer wieder verwenden. Ich verspreche Euch, man muss wirklich an sich halten, dass man sich nicht jetzt schon daran vergreift. Aber unser Einsatz gilt ja höheren Zielen, in diesem Fall unserer Röstzwiebelbouillon!
(4 Personen)
3 Gemüsezwiebeln, geschält und in feine Ringe gehobelt
2 Gemüsezwiebeln, geschält und fein gewürfelt
200 ml Sonnenblumenöl
150 g Knollensellerie, fein gewürfelt
75 ml Weißwein
75 ml Noilly Prat
75 ml trockener weißer Portwein
2 Liter Gemüsefond (wie oben beschrieben)
Salz, weißer Pfeffer
2 EL Zucker
Die Zwiebelringe in Öl schwimmend braun ausbacken, auf Küchenpapier abtropfen lassen und beiseite stellen. Ich werde nie wieder anders Röstzwiebeln herstellen, so überzeugend, knusprig und lecker ist das Ergebnis! Nun die Zwiebelwürfelchen und Selleriewürfel in einem Topf leicht bräunlich anschwitzen, dabei mit dem Zucker karamellisieren und mit mit Portwein, Weißwein und Noilly Prat ablöschen, dann etwas reduzieren. Nun den Fond zugeben und den Inhalt des Topfes für 30-40 Minuten bei offenem Deckel auf etwa die Hälfte einkochen lassen. Die Flüssigkeit durch ein feines Sieb passieren und wieder zurück in den Topf gießen. Die frittierten Zwiebelringe kommen jetzt ebenfalls in den Topf. Bei geschlossenem Deckel 3 Stunden bei 95 Grad sieden lassen, so gehen die Röst- und Farbstoffe langsam aus den Zwiebeln in die Bouillon über. Das ist mit häuslichen Mitteln nicht ganz einfach, ich habe deshalb den Temperaturfühler des Bratenthermometers in den Topf gehängt und konnte so die Temperatur gut überwachen. So. Jetzt ist es fast geschafft, nur noch mit Pfeffer und Salz abschmecken und servieren. In den Tellern ist jetzt das Optimum dessen, was Gemüse, Zwiebeln und die Zeit gemeinsam anstellen können. À bientôt!
p.s.: Diese Bouillon habe ich leicht abgewandelt vor einigen Monaten im “Feinschmecker” entdeckt und sie spukte mir lange im Kopf herum – bis ich endlich die Zeit dazu hatte. Das Rezept stammt von Sternekoch Jens Rittmeyer, der einen Schwerpunkt seiner Küche auf das Gemüse gelegt hat.