Wenn ich mir aus den sicherlich über 100 Kochbüchern in meinen Regalen eine Handvoll fürs Exil auf einer einsamen Insel aussuchen müsste, wäre die Wahl schnell getroffen. Eines der ersten, die ich einpacken würde, wäre “Meine provencalische Gemüseküche” von Roger Vergé. Man kann es, in den 90er Jahren in Deutsch erschienen, heute nur noch antiquarisch erwerben, aber das sollte man wirklich tun! Vergé war Sternekoch, einer der Begründer der Nouvelle Cuisine und betrieb bis Mitte der 2000er Jahre ein Restaurant in Mougins, im Hinterland von Cannes. Es gibt wohl niemanden, der zauberhafter, sachkundiger und, ja, liebevoller über Gemüse geschrieben hat als der gute Roger. Die Rezepte sind oft von jener alten Machart, die keine Mühe und keinen Arbeitsgang scheut, um aus den Produkten das beste Ergebnis herauszuholen. Sozusagen Kochliteratur aus der Prä-Thermomix-Epoche. Und wenn einem stundenlanges Schnippeln und Köcheln nicht zu viel ist, zum Beispiel mit dem üppigen Zeitbudget eines langen Urlaubs ausgestattet, wird man mit überaus köstlichen Gerichten belohnt.
Ohne Roger Vergé wäre ich nie auf die Idee mit der “Farigoule” gekommen. Das ist ein uraltes, traditionelles Rezept der provençalischen Landküche. Auf Seite 40 in meinem Kochbuch war da jahrelang dieses kleine gelbe Klebezettelchen, weil ich vorhatte, dieses Gericht irgendwann einmal zuzubereiten. Wenn es so schmeckte, wie es aussah… In einem längeren Urlaub in der Provence war das Buch natürlich auch im Gepäck und als ich mit genüsslicher Vorfreude eines Mittwochs auf den Wochenmarkt in meinem Vaucluse-Dörfchen spazierte, dachte ich plötzlich wieder an den Klebezettel auf Seite 40. Und so wollte ich vor allem diese sehr kleinen, zarten, violetten Pfefferartischocken finden. Gesagt, getan. Als ich zwei Stunden später nach dem Marktgang und einem Belohnungs-Pastis vor meiner Stammkneipe schließlich mit schweren Taschen in unser Haus zurückkam, war alles still. Die anderen waren noch auf dem Markt oder unternahmen eine Radtour. Ich war alleine mit meinen Einkäufen, setzte mich in den Halbschatten, lauschte kurz dem Konzert der Zikaden und fing an zu kochen.
Für 4 Personen
16 kleine Pfefferartischocken
2 mittelgroße weiße Zwiebeln
2 junge Möhrchen, geschält
6 kleine(!) Knoblauchzehen, geschält
2 Zweige Basilikum
einige Stengel Petersilie
1 Lorbeerblatt
2 Zweige Thymian
2 Zitronen
1/3 Flasche trockener Weißwein
Pflanzenöl
Salz und Pfeffer
Damals kochte ich für eine große Meute, deshalb musste ich nicht weniger als 30 Artischocken vorbereiten. Wenn man das noch nie gemacht hat, ist eine ernsthafte Motivationskrise unausweichlich. Ich überwand sie. Also: dreißig mal die Artischocken mit 4 Zentimeter Stiel abschneiden, die Spitze großzügig mit einem sehr scharfen Messer mit breiter Klinge kappen, die übrigen Blätter einzeln abbrechen und das Heu mit einem am Rand gezackten Grapefruitlöffel entfernen. Jetzt mit einem sehr guten Schäler die Stiele und die Artischocken schälen und sofort in eine Schüssel mit eiskaltem Zitronenwasser geben, damit sie sich nicht dunkel verfärben. Als Ergebnis haben wir jetzt nur noch sauber geputze Artischockenböden mit Stiel. Danach unbedingt ein Glas Rosé trinken, Ihr werdet es nach der Fummelei brauchen.
Die Hälfte des Knoblauchs zusammen mit dem Basilikum und der Petersilie sehr, sehr fein hacken und beiseite stellen. Anschließend Zwiebeln und Möhren in feine Scheiben hobeln und dann geht’s los. Zwiebeln und Möhren in Öl goldgelb anschwitzen, die Artischocken in den Topf schichten, Lorbeer, Thymian, die übrigen Knoblauchzehen im Ganzen, Salz und Pfeffer dazugeben. Es duftet bereits zu diesem Zeitpunkt köstlich in der Küche! Jetzt den Weißwein angießen und soviel Wasser, dass die Artischocken knapp bedeckt sind. Das ganze darf erst mal 15-20 Minuten bei mittlerer Hitze zugedeckt köcheln. Genug Zeit für Rosé Nummer 2.
Nun sollten die Artischocken gar sein. Die werden jetzt zusammen mit den Karotten und den Zwiebeln aus dem Topf herausgenommen und im Backofen warm gestellt. Die Kochflüssigkeit dann kräftig einkochen. Zum Schluss die Artischocken auf einer Platte anrichten, mit dem Sud beträufeln, Karotten und Zwiebeln darübergeben und mit der Mischung aus Knoblauch, Basilikum und Petersilie bestreuen. Nun noch ein kleiner Schuss Olivenöl über das Ganze und schnell servieren. Ein wirklich großer Auftritt für die kleinen Artischocken, optisch, aber auch geschmacklich!
Das Ergebnis wäre sicherlich noch großartiger gewesen, wenn ich kleine Knoblauchzehen genommen hätte. Stattdessen verwendete ich die riesigen Zehen, wie man sie im Sommer in Südfrankreich auf dem Markt findet – und das war zugegebenermaßen ein bisschen zuviel des Guten. Geschmeckt hat es trotzdem. Und beim nächsten Markttag gab es dann gleich noch einmal diese Farigoule und diesmal richtig. Das kleine gelbe Klebezettelchen ist übrigens immer noch an seinem Platz. Wenn ich mal wieder viel, viel Zeit habe…
À bientôt!
p.s.: Meine Frau ist ja der Ansicht, dass ich viel mehr als 100 Kochbücher habe. Unsere kurze, in sehr freundlichem Ton geführte Diskussion darüber, ob es nun 200 oder 300 sind, beendete sie mit dem vieldeutigen Satz: “Es sind jedenfalls genug.” Und “genug” heißt ja nicht “zu viele”, oder?