Von Fleischbergen und Gebetsmühlen
Dass der Algorithmus von Amazon FireTV meine Vorlieben inzwischen ganz gut kennt, konnte ich am Wochenende mal wieder anhand der Empfehlung einer über 2stündigen Dokumentation unter dem Titel „Steak-Revolution“ erkennen. Der Teaser suggerierte, die Doku begleite die Suche nach dem besten Steak der Welt. Meine Neugier war geweckt. Um es vorweg zu sagen: Vegetarier bitte wegschauen! Da wird stundenlang rotes Fleisch zersägt, gewürzt, aufgespießt, gebraten und gehackt. Im Gegenschnitt schaut man dann öfter mal frontal in treuherzige Kuhaugen, sieht süße Kälbchen auf der Weide und schmunzelt, wenn das Longhorn sich etwas ungelenk mit seinem langen Horn am Hinterteil kratzt. Der Film war inhaltlich auf mehreren Ebenen interessant. Vor allem wurde für mich einmal mehr deutlich, wie komplex die Balance der Einflussfaktoren für den Fleischgeschmack laut internationalen Experten ist: Die Rasse, das Klima, das Futter, das Geschlecht des Tieres, sein Wesen, sein Bewegungsradius, die Dauer der Lagerung nach der Schlachtung, die Methode der Zubereitung und, und und. Erwartungsgemäß hatte jeder Experte eine andere Auffassung, die er jedoch umso felsenfester vertrat.
Und so konnte man die wesentlichen Fleischtrends der Welt on location unter Inansichtnahme ihrer führenden Vertreter besichtigen: Das magere Rind in Kontinentaleuropa (böse), die fetteren, angelsächsischen Rinder (gut), das noch fettere, extrem marmorierte Fleisch aus Japan (noch besser) oder der neueste Trend, der ja bekanntlich zu 15 Jahre alten, 2500 Kilogramm schweren und sehr, sehr fetten spanischen Kühen tendiert, die sich wie mythische Fleischberge über den Bildschirm bewegen. Also alle Spielarten dabei.
Für meinen Geschmack ein bisschen penetrant und fast gebetsmühlenartig werden von einigen Interviewpartnern im Film immer wieder nachhaltige Zucht und Vermarktung betont. Da sitzt zum Beispiel ein zum Rinderzüchter umgestiegener ehemaliger Investmentbanker vor der Kamera, schwadroniert über nachhaltige Viehwirtschaft in einer nachhaltigen Welt und schlürft dabei immer mal wieder Cola aus seiner Alu-Einwegdose. Das Gefühl, dass inzwischen viele, vielleicht allzu viele Akteure mit der Verbrauchersehnsucht nach Natürlichkeit und Ursprünglichkeit vor allem ein gutes Geschäft machen wollen, verstärkt sich. Am Ende kommt es aber beruhigenderweise doch irgendwie darauf an, dass das Produkt dem Kunden wirklich schmeckt und nicht alleine darauf, wie es etikettiert ist.
Ob aber volljährige, sehr fette Kühe nun wirklich immer so sensationell gut sind? Ob das ausschließliche Füttern von Gras statt Getreide wirklich bei jeder Rinder-Rasse besser ist für die Fleischqualität? Ob das Fleisch von Jungkühen, Stieren oder doch das von kastrierten Ochsen ganz vorne liegt? Vorher oder nachher salzen? Grill oder Pfanne? Butter oder Öl? Diese und viele andere Fragen sind nach dem Dokumentar-Epos für mich offener denn je. Nach dem Film bleibt damit die Bestätigung der Erkenntnis, dass die Welt auch auf dem Teller und selbst bei einem so einfachen Produkt wie dem Steak kompliziert ist. Und es bleibt auch die während des Films gewachsene, ganz große Lust auf ein richtig gutes Stück Fleisch. Oder am besten eins von jeder Sorte! Denn was selbst der Algorithmus von Amazon nicht weiß: Selber probieren macht mehr Spaß als die längste Doku!
À bientôt!
p.s.: Wenn jemand interessante Bezugsquellen für besonderes Fleisch in Berlin kennt, würde ich mich über Tipps an info@knauber-kocht.de sehr freuen. Ich bleibe nämlich an dem Thema dran.