Allerlei und starke Frauen
Meine Großmutter hatte einen großen Schatz, und damit meine ich nicht ihre Ringe und Broschen oder Perlenketten. Sondern das, was die Franzosen einen „Potager“ nennen: einen kleinen Gemüsegarten, in dem sie rund ums Jahr ein bisschen Gemüse für ihre Küche ernten konnte. Denn obwohl sie als Kriegerwitwe den größten Teil ihres Lebens alleine lebte, kochte sie fast jeden Tag frisch, und ein Ausflug in den Garten gehörte damit zum üblichen Tagesablauf. Auch für mich, wenn ich als kleiner Junge mal für zwei Wochen in den Ferien bei ihr zu Besuch war. Da lernte ich zum Beispiel, wie man Erbsen palt und wie wunderbar zart junges Gemüse aller Art duftet. Und was der Garten nicht hergab, holte sie dann frisch vom Markt, um mir ein Leipziger Allerlei zuzubereiten. Und damit meine ich nicht das Dosenfutter mit matschigen Erbsen und bröckligen Möhren, sondern eine frische Pfanne mit allem, was der Frühling bietet.
Das erste schriftlich überlieferte Originalrezept für Leipziger Allerlei stammt aus einem Kochbuch von Susanna Eger (1640–1713). Madame Eger sah sich als noch junge Witwe vor der Herausforderung, ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen, und so wurde sie bald zu einer gefragten Kochbuchautorin und Berufsköchin für wohlhabende Leipziger Bürgerhäuser – eine bemerkenswerte Frau, der wir eine einzigartige Sammlung von 900 Kochrezepten aus der Barockzeit verdanken. Neben viel Gemüse verwendete sie in ihrem Allerlei auch Morcheln und Flusskrebse. Davon habe ich mich inspirieren lassen für meine Version:
(für 2 Personen)
500 g geschälte große Garnelen (z. B. King Prawns)
4 ungeschälte große Garnelen
Für die Krustentier-Hollandaise:
125 g Butter, gesalzen
2 Eigelb
1 EL Crème fraiche
1 TL Senf
1 EL Ahornsirup
1 EL Zitronensaft
1 EL Weißweinessig
1 Prise Cayennepfeffer
1 Prise Salz
250 ml Krustentierfonds, auf niedriger Temperatur zu einer Paste eingekocht
Für das Leipziger Allerlei:
200 g Mini-Karotten, geschält
3 Stangen weißer Spargel, geschält, in drei Teile geschnitten
10 Frühlingszwiebeln, geputzt, die großen Köpfe halbiert
1 Mairübchen, geviertelt, dann in 12 Spalten geschnitten
200 g Thaispargelspitzen
200 g Keniabohnen
600 g Erbsenschoten, gepalt ergibt das 200 g Erbsen
1 Zehe Knoblauch, grob gewürfelt
15 g getrocknete Spitzmorcheln, eingeweicht und trockengetupft
40 g Butter (gesalzen)
Salz, weißer Pfeffer
Das Ganze ist eine ziemliche Arbeit, aber sie wird belohnt! Zunächst das Gemüse (außer den Knoblauchwürfeln) nacheinander dämpfen. Ziel ist es, dass die Stücke noch Biss haben, weil sie später noch zusammen in die Pfanne kommen, und am Ende auf dem Teller sollen sie nicht übergart und matschig, sondern noch lecker sein. Das gelingt am besten, wenn man die Gemüsesorten einzeln dämpft, dann kann man sich an die optimale Garung besser herantasten. Beim weißen Spargel ist der ideale Zustand nach ca. 7 Minuten erreicht, der Thaispargel ist schon nach einer Minute soweit. Da ich keinen Dämpfer habe, mache ich das in einem Metallsieb, das in einem Topf über kochendem Wasser hängt, und schließe den Deckel dabei. Die fertigen Gemüse lagere ich dann bei 60 Grad in einer Schale im Backofen.
Nun die Krustentiere in einer großen Pfanne in Speiseöl von beiden Seiten braten; auch die kommen nun in eine Schale in den Backofen.
Die Krustentier-Hollandaise braucht als Vorarbeit nur das sirupartige Einkochen des Krustentierfonds. Ich habe die Krabbennessenz von Holy Crab verwendet. Die Butter bei niedriger Hitze in einer Kasserolle schmelzen lassen, auf Stufe 1 warmhalten. Nun alle oben genannten Zutaten in einem hohen Gefäß miteinander verquirlen, die Butter kurz auf Stufe 6 erhitzen und dann dazugießen, während ein Pürierstab alles gut vermischt. Schon sehr bald wird unsere delikate Krustentier-Hollandaise fester. Nun zurück in die Kasserolle und bei Stufe 1 mit geschlossenem Deckel warmhalten.
Jetzt kommen die Morcheln in einer Mischung aus Butter und Pflanzenöl in eine große Pfanne und werden 5 Minuten unter Wenden angebraten. Nach der Hälfte der Garzeit gebe ich den Knoblauch dazu. Danach das Gemüse aus dem Backofen gemeinsam für 5 Minuten in die Pfanne geben, salzen, pfeffern und hin und wieder wenden. Währenddessen die Temperatur im Backofen für die gebratenen Garnelen auf 100 Grad hochziehen. Fertig. Ja, das war wirklich viel Arbeit, aber wenn der Teller dann vor uns steht, spielt das keine Rolle mehr.
Dieser köstliche Frühlingsteller wurde begleitet von einem schönen, duftigen Wein namens Pétale de Rose vom Chateau de la Tour de l’Èvêque in der Provence. Mein Glas erhebe ich auf meine Großmutter und Susanna Eger, die beiden selbstbewussten Witwen, die mich zu diesem Essen inspiriert haben. À bientôt!