Es mag viele gute Gründe geben, in der Großstadt zu leben. Die meisten davon erschließen sich mir nicht. Den Lärm, das Gewusel, die Hektik – brauche ich nicht. Das Nachtleben, die Parties, ständig um die Häuser ziehen – bin ich inzwischen rausgewachsen. Aber Einkaufen? Da gibt es gerade in Berlin schon tolle Adressen. Letztens war ich mal wieder im Frischeparadies. Ich mache das nur drei Mal im Jahr, weil es da so viele feine Sachen gibt, dass ich niemals unter einem dreistelligen Betrag auf dem Kassenzettel wieder dort herausfinde. Ich bin da auch so unendlich viel lieber als zum Beispiel in der überfüllten Feinkostabteilung des KaDeWe, wo die Russin vor dir an der Kasse aus der dicken Moschino-Tasche ein Bündel 500er zückt, um die 5XL-Dose Kaviar zu bezahlen.
Spektakuläre Produkte sind die Regel im Frischeparadies, aber ein spezielles Produkt ist einzigartig. Ich habe es jedenfalls bisher noch nirgends sonst gefunden, und es spart unendlich viel Arbeit: komplett entbeinte, küchenfertige Wachteln, die man zum Beispiel nach Herzenslust füllen kann. Im Paris des späten 19. Jahrhunderts wurden die kleinen Vögelchen opulent mit ganzen Trüffeln und Gänseleberpastete vollgestopft. Auch Pflaumen, Rosinen und Nüsse waren beliebte Füllungen. Man steht dann so vor dem Kühlregal, schließt die Augen und träumt sich in die Belle Epoque. Zeitmaschine. Paris, 1895. Mit Frack und Monokel sitzen wir vor einem Porzellanteller mit Goldrand in einem stuckverzierten Restaurant voll blitzendem Tafelsilber, nippen am Madeira und lassen servieren …
Zurück von der Zeitreise stelle ich mich in die Küche und lege los mit meinen Wachteln, gefüllt mit Champignons, Steinpilzen und Entenleberpastete. Das ist zwar etwas aufwendig, lohnt aber jede Mühe.
200 ml Wachtelfond (Nein, den gibt\’s nicht zu kaufen. Ich habe ihn letztens aus Wachtelkarkassen, Weißwein, etwas Portwein, einem grob zerkleinerten Bund Suppengemüse, zwei halbierten Zwiebeln und einem Löffel Tomatenmark selber hergestellt und dann stark eingekocht.)
ersatzweise Geflügelfond, ist aber nicht das gleiche
80 g Gänse- oder Entenleberpastete (Im Feinkostladen frisch vom Stück, aus dem Glas oder auch die tiergerecht hergestellte von Labourdette; da ich explizit gegen den Zeittrend niemanden bevormunden möchte, kann sich gern jeder aussuchen, was ihm am besten schmeckt.)
4 völlig knochenfreie Wachteln
100 g Trocken-Steinpilze, gewässert, abgetrocknet und grob gehackt
300 g weiße Champignons, zwei Drittel feingewürfelt, der Rest in grobe Scheiben geschnitten
20 Rosinen
50 g Semmelbrösel
2 Scheiben Tiroler Speck, sehr fein gewürfelt
eine milde weiße oder zartrosa Zwiebel, am liebsten eine bretonische aus Roscoff, feingewürfelt
eine Espressotasse Tawny Port
3 EL Sahne
Schwarzer und weißer Pfeffer nach Geschmack (idealerweise Mélange Blanc und Mélange Noir von Ingo Holland)
1/2 TL Quatre Épices Gewürzmischung
Chiliflocken
Zunächst kommen 2/3 der Zwiebeln und die feingewürfelten Champignons in eine Pfanne, wo sie in neutralem Pflanzenöl für zehn Minuten angedünstet werden. Dabei schon mal salzen, auch mit weißem Pfeffer würzen und sehr vorsichtig mit einem Hauch Quatre Épices bestreuen. Danach kann die heiße Masse in einem Schüsselchen etwas abkühlen. Nun mit den Semmelbröseln bestreuen, die Entenleber stückweise hineingeben und alles gut mischen. Die Pastete wird in der warmen Masse weich, verteilt sich und ist damit neben einer entscheidenden Geschmackskomponente auch das Bindemittel für unsere Füllung. Die Hälfte der Steinpilze jetzt in der Pfanne anbraten, danach kommen sie mit den Rosinen zur Farce und nun wird alles mit einem Löffel nochmal gut durchmischt und abgeschmeckt. Etwas Salz, weißer Pfeffer und nochmal ein Hauch Quatre Épices. Es sollten jetzt etwa 350 Gramm Füllung bereitstehen.
Die Wachteln legen wir mit der Außenhaut nach unten auf ein Arbeitsbrett. Zart salzen und mit etwas schwarzem Pfeffer bestreuen, auf jede Wachtel zwei Esslöffel der Füllung geben. Dann das Wachtelfleisch über der Füllung wie ein Paket zusammenklappen und mit je zwei Rouladennadeln fixieren. Die strammen Wachtelkugeln werden jetzt in der Pfanne von beiden Seiten auf höherer Temperatur angebraten, bis sie goldgelb sind. Danach setzen wir sie in einer Auflaufform für 40 Minuten in den auf 220 Grad vorgeheizten Backofen, hierbei die zweite Schiene von unten wählen, damit die direkte Hitze auf der zarten Brustseite nicht zu stark wird. Auf der Halbzeit werden unsere Wachtelkugeln gewendet.
Für die Sauce nun die restlichen Zwiebeln und die breiten Champignonscheiben fünf Minuten in der Pfanne andünsten. Danach kommen die restlichen Steinpilze hinzu. Mit einem Schuß Portwein ablöschen und mit dem Wachtelfond aufgießen. Das Ganze ein wenig einkochen lassen, die Sahne dazugeben und abschmecken, zusätzlich mit ein wenig Chiliflocken würzen, damit eine Spur Schärfe ins Spiel kommt.
Der Tisch ist gedeckt, Kerzen brennen und dass alles etwas festlich wirkt, mag auch an den duftenden Tellern liegen, die vor uns stehen. Die Wachteln sind gar und zart, der Geschmack ist durch die Verbindung der intensiven Pilze mit der Entenleber und den Rosinen so köstlich und harmonisch, dass wir im Kopf schon wieder in die Belle Epoque unterwegs sind.
Dazu gibt es einen markanten roten Schmeichler im Glas, nämlich einen spektakulären 2013er Domaine de Trévallon aus der Provence, den ich fünf Stunden zuvor geöffnet habe. Ja, so kann das Leben sein. Übrigens auch ohne Frack und Monokel. À bientôt!
p.s.: Zu einem Artikel über natürlich und tiergerecht erzeugte Gänse- und Entenleber geht es hier: https://munchies.vice.com/de/article/aeypak/das-einzig-vertretbare-foie-gras-297 Mehr über die zartrosa Zwiebel aus Roscoff findet Ihr an dieser Stelle: https://www.weinhalle.de/blog/2015/01/so-einfach-so-gut-die-rose-von-roscoff/ Über den Domaine de Trevallon ist nachzulesen, er sei vielleicht einer der besten der Welt. Da es mir für ein solches Urteil ein wenig an Vergleichsmöglichkeiten fehlt, kann ich nur sagen, dass er wirklich großartig ist: Die spannende Cabernet-Syrah-Mischung hat Tiefe, aber auch Ecken und Kanten. Die brauchen wir auch, denn unsere Wachteln balancieren geschmacklich auf der Grenze zwischen den erdigen Pilzen und weihnachtlichen Anklängen, die durch Entenleber, Quatre Épices und Rosinen erzeugt werden. Ein zu weicher Roter oder gar ein Weißwein würde diese Balance zu sehr ins Weihnachtliche kippen lassen. Hier kann man mehr über den Tropfen erfahren: http://www.pinard-de-picard.de/katalog/wein/erzeuger/401-Domaine_de_Trevallon_Provence.html. Da sich die Qualität des Trevallon leider auch im Preis ausdrückt, lege ich mir nur zwei Flaschen von jedem Jahrgang in den Weinschrank, um mir vielleicht alle ein, zwei Jahre eine davon zu gönnen. Und dank euch war es gestern mal wieder soweit.
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