(Wild)Schwein gehabt, bei 32 Grad!
Die Wespen haben seit Wochen die Lufthoheit über unsere Terrasse. Das Grillen bei Tageslicht mussten wir als Erstes einstellen, es folgten das Draußenessen, inzwischen auch das Draußensitzen. Was für ein Sommer. In einer Ecke der Wohnung stand während der Hitzewelle eine per DHL eingetroffene 12er-Kiste feiner Cotes du Rhône. Totalverlust wegen Hitzeschaden. Kurz gesagt: Der ewige Sommer geht mir so langsam auf die Nerven. Dagegen kann man aber ankochen. Zum Beispiel mit nicht-saisonaler Küche, um sich über Düfte und Aromen in eine andere Jahreszeit hinüberzuwürzen. Gewissermaßen eine paradoxe Intervention am Herd. Deshalb gab´s letzte Woche auch Wildschwein, und zwar Rücken. Wildes Borstenvieh wird zwar auch im Sommer bejagt, aber ich finde, es ist einfach ein Herbst- und Winteressen: Deftiges, aromatisches Fleisch, konzentrierte Saucen, Wacholder…
Als ich den verwegenen Speiseplan zuhause verkündete, herrschten immerhin noch 32 Grad Außentemperatur. „Wildschwein, klingt ja irgendwie nicht so leicht und auch ziemlich herbstlich“, meinte Frau Knauber etwas teilnahmslos, fächelte sich Luft zu und zuckte matt mit den Schultern. Was die Hitze doch beim Menschen anrichten kann. Ihr erwarteter Widerstand gegen saisonfremdes Kochen war in den vielen subtropischen Wochen offenbar erlahmt. Meine Chance. Und damit das Ganze wenigstens noch eine kleine sommerliche Note bekam, wollte ich in der Sauce auch Sauerkirschessig und getrocknete Kirschen verwenden. Und das lief so:
1 Wildschweinrücken, ausgelöst, von ca. 600 g
4 Schalotten, in Ringe geschnitten,
2 Lorbeerblätter
2 Wachholderbeeren
1 Handvoll Trockenkirschen ohne Kern (z.B. Seeberger)
400 ml Bratenfond
100 ml roter Ruby Port
20 ml Balsamico
20 ml Sauerkirschessig
schwarzer Pfeffer
Salz
Majoran, getrocknet
Ich fange mit der Sauce an, denn sie braucht bei diesem Gericht die meiste Aufmerksamkeit. Die Schalottenringe in einem mittelgroßen Topf, gern in einer Kasserolle in etwas Pflanzenöl anschwitzen, so etwa 5 Minuten. Dann mit dem Bratenfond aufgießen und bei etwas mehr als mittlerer Hitze auf etwas weniger als die Hälfte einkochen lassen. Das kann lange genug dauern, um in dieser Zeit einen schönen Wein auszusuchen, ihn zu öffnen, das erste Glas zu trinken und vielleicht auch das zweite. Von dem in der Hitze umgekippten Rotwein fand sich im Weinschrank noch eine intakte Flasche aus einer früheren Lieferung und der passt hervorragend: „Les Calades“ von der Domaine Clos Saint Jean aus Châteauneuf-du-Pape. Doch nun zurück zu unserer Sauce.
Die Wacholderbeeren herausfischen, den Balsamico und den Sauerkirschessig dazugeben und das Ganze wieder einkochen lassen. Wenn noch etwa 150 ml in unserem Zaubertopf sind, Gießen wir die Sauce durch ein Sieb ab und geben sie wieder zurück in den Topf. Nun tun wir die Kirschen dazu und einen Teelöffel Kirschmarmelade und fangen an, die Sauce bei mittlerer Hitze ein wenig weiter einkochen zu lassen. Mit schwarzem Pfeffer aus der Mühle oder dem Mörser und etwas Fleur de sel abschmecken. Nun kalte Butterstückchen mit dem Schneebesen einarbeiten oder binden. Ist das Sößchen allzu intensiv, ist auch ein Blubb Schlagsahne erlaubt. Von wegen leichte Sommerküche, wir zelebrieren unseren persönlichen Herbst trotz 30 Grad! Fertig. Deckel drauf und die Hitze abstellen.
Den Wildschweinrücken salzen, mit schwarzem Pfeffer und bestem getrocknetem Majoran bestreuen. In einer großen Pfanne von beiden Seiten je anderthalb bis zwei Minuten anbraten, damit die wunderbaren Röstaromen entstehen. In einer Auflaufform in den auf 130 Grad vorgeheizten Backofen setzen und bis zu einer Kerntemperatur von 68 Grad garen lassen. Das wird eine knappe halbe Stunde dauern. Wer ein Bratenthermometer hat, weiß es ganz genau und kann fünf Minuten vor dem Ziel die Sauce wieder auf mittlere Temperatur hochziehen, dazu Spätzle oder Gnocchi kochen und vor allem das schärfste und beste Messer wetzen. Denn gleich wird gesäbelt. Ist die Kerntemperatur erreicht, den Wildschweinrücken herausnehmen und ein paar Minuten unter Alufolie ruhen lassen. Das duftende Prachtstück in mitteldicken Scheiben aufschneiden, mit der Sauce und der Pasta anrichten. Die Sauce, das ist ist ein tief dunkler Traum aus Port, Fond und Essignoten, Kirschen und Schalotten bringen Süße hinein, dazu das leichte Brennen von Wacholder und Pfeffer. Herbstfeuerwerk! Nimm das, Sommer! À bientôt!
p.s.: Frau Knauber hat es, glaube ich, trotz stehender Hitze sehr geschmeckt. Nach dem Essen wehte ganz zart ein lauer Wind durch die weit geöffneten Fenster hinein. „Das war sehr gut, trotz der Herbstlichkeit. Ich glaube, ich weiß jetzt, worum es Dir damit geht“, murmelte Frau Knauber in das Sirren des Ventilators hinein. Und setzte hinzu: „aber bitte trotzdem kein Ratatouille im Januar!“. Muss ich mal drüber nachdenken. Vielleicht habe ich aber auch nur zu lange in der Sonne gesessen.
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