Hinter dem Korken: Überraschung!
Über Geschmack kann man nicht streiten. Und doch passiert es permanent. Zum Beispiel, wenn es um den sogenannten Naturwein geht. Da beharken sich die Winzer, Experten und Sommeliers in pro und contra-Kolumnen der Gastronomiepresse, dass die Korken fliegen: Die einen erheben kaum behandelte, ungeschwefelte Weine zu einer Art Religion, den anderen gilt das als Rückfall in die önologische Steinzeit.
Ich gebe zu, ich bin immer sehr skeptisch, wenn Produkte moralisch veredelt werden, um sich besser zu verkaufen. Sollten wir Wein nicht einfach deshalb trinken, weil er schmeckt?
Leider haben etliche Naturweine, die ich bisher im Glas hatte, diese Skepsis bestätigt. Ich probierte manche Tropfen, die einfach „um“ waren, voller Fehltöne, plumpes, trübes Zeug. Die edle Gesinnung macht eben noch keinen guten Wein. Und eigentlich hatte ich nicht vor, mich damit weiter zu beschäftigen, denn das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken.
Das galt bis gestern. Da öffnete ich eine Flasche Rosé „Solstice“ von der Domaine Viret. Das Weingut liegt in der Gegend des Drôme Provencal, nicht weit von den besten Cru-Lagen der Rhône. Bei Familie Viret wird biodynamisch gearbeitet, wie zu Römerzeiten in großen Amphoren vinifiziert und das Design der Flasche ist ein bissl esoterisch. Mir war das beim Kauf nicht aufgefallen, weil ich einfach der Empfehlung der freundlichen Weinhändlerin gefolgt war. Nun stand da ein Naturwein vor mir. Ich rollte die Augen, öffnete die Flasche und erwartete eine Säureattacke auf Zunge und Gaumen, dazu vielleicht einen Anflug von Misthaufen und Fusel.
Was dann kam, hat mich umgehauen. Ein dichter Wein, der ganz dezent nach roten Beeren duftet. Im Geschmack eine subtile Mischung aus roten Johannisbeeren und Erdbeeren, die mit einem zarten Hauch von Salz bestreut wurden. Ein Rosé, der markant ist und wirklich überaus delikat! Hier hat der Winzer nicht nur eine Philosophie, sondern er weiß auch ganz genau, was er tut.
Über Geschmack sollte man nicht streiten. Und man sollte seine Vorurteile nicht zu sehr pflegen, denn hinter jedem Korken kann sich eine große Überraschung befinden. Und jetzt muss ich los, mehr Wein von der Domaine Viret besorgen. À bientôt!
p.s.: Den Rosé “Solstice” von der Domaine Viret habe ich in der Köpenicker Straße 18-20 bei “Vin sur Vin” gefunden. Danke, Alexandra!
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