Von zarten Sardinen und smarten Venezianerinnen
Wer einmal in Venedig „Sarde in Saor“ gegessen hat, wird es nie vergessen. Das sind salzige, frittierte Sardinen, die in einer süßsauren Mischung aus sanft gegarten weißen Zwiebeln, Weißweinessig, Rosinen und Pinienkernen mindestens 24 Stunden im Kühlschrank durchziehen durften und dann als Antipasto serviert werden. Der Knaller ist die Salzigkeit der pikanten Sardinen, die milde Säure des Essigs und die Süße der Rosinen-Zwiebeln im delikaten Dreiklang. Klassischerweise wird auf die Pinienkerne eher verzichtet, aber es sieht hübsch aus und gibt eine interessante zusätzliche Note.
Sarde in Saor ist vielleicht das Signaturgericht der venezianischen Küche und nach meiner Vorstellung gehört es zum Repertoire jeder gestandenen venezianischen Hausfrau, die sich auf dem trubeligen Rialto-Markt ihre Sardinen in Zeitungspapier einwickeln lässt, um ihrer Familie und sich selbst im Handumdrehen eine kleine Freude zu machen. Da es in Berlin auch Sardinen gibt und diese Vorspeise schon seit etlichen Jahren auf meiner kulinarischen To Do-Liste steht, war es gestern endlich so weit. Für eine Vorspeise für vier Personen braucht man:
12 kleine Sardinen, küchenfertig, also ohne Köpfe, Innereien und Gräten (!)
eine kleine Handvoll Sultaninen
500g weiße Zwiebeln, in feine Ringe gehobelt
1 kleine Handvoll Pinienkerne, leicht angeröstet
Salz, Pfeffer und eine Prise Quatre Épices oder Zimt
Etwas Mehl, um die Sardinen darin zu wenden
0,2 Liter neutrales Pflanzenöl zum frittieren
8 EL milder Weißweinessig
einen Schuss Olivenöl
ein Lorbeerblatt
Die Sardinen waschen, trockentupfen, leicht salzen und peffern, mehlieren und in einer beschichteten Pfanne mit reichlich Öl fast schwimmend von jeder Seite 3 Minuten goldgelb frittieren. Dann auf Küchenpapier abtropfen lassen. Das Öl abgießen. In der gleichen Pfanne die Zwiebeln bei milder Temperatur mindestens 20 Minuten glasig werden lassen. Nun die Temperatur etwas hochziehen und mit dem Essig ablöschen. Das Lorbeerblatt, die Rosinen und Pinienkerne hinzugeben, etwas salzen und peffern. Mit einer dezenten Prise Zimt bestäuben, alles gut durchmischen und abschmecken. Notfalls etwas Essig hinzufügen, falls es zu süß schmeckt. Der Zimt ist der Clou bei dieser Komposition. Die luxusverliebten Venezianer lieben dieses Gewürz, das sie in ihrer Glanzzeit sicher gern mit Gold aufwogen – sie tun es sogar an ihre Fleischsauce zur Pasta! Nun werden die Sardinen in ein passendes Gefäß geschichtet: Zuerst ein wenig von der Zwiebelmischung, dann abwechselnd eine Schicht Sardinen, Zwiebeln und so fort. Mit den süßsauren Zwiebeln abschließen, nochmal mit ein wenig Essig und etwas Olivenöl beträufeln. Zum Schluss Klarsichtfolie über das Gefäß und ab in den Kühlschrank, für mindestens 24 Stunden. Da stehen sie jetzt also.
Hört sich ja nicht übermäßig kompliziert an. Es hätte mich allerdings nachdenklich machen sollen, dass man am Rialto-Markt an zahlreichen Ständen Sarde in Saor auch fertig kaufen kann – und dass das auch sehr, sehr viele venezianische Hausfrauen tun. Denn dieses Gericht selber machen ist wirklich viel Arbeit, vor allem, wenn der Fischhändler vergessen hat, die Sardinchen zu entgräten. Da saß ich nun mit Einweg-Handschuhen und filetierte zum ersten mal in meinem Leben einen kleinen Berg Sardinen. Und das dauerte. Und dauerte.
Dass die kleinen Dinger beim frittieren einen nicht eben feinen Duft freisetzen, weiß jeder, der schon mal Hering gebraten hat. Das wollte ich dadurch abmildern, dass ich diesen Arbeitsgang nach draußen verlegte, zur Kochstelle an meinem Gasgrill. Dazu ein Bierchen. Ich hatte dabei freilich unterschätzt, wie sehr Wespen offensichtlich auch Fisch lieben und musste nach wenigen Minuten überhastet wieder den Rückzug in die Küche antreten, mitsamt Pfanne, Fischen, Schaumlöffel, dem Öl und meiner Bierflasche. Also wieder von vorne. Da ich bei dieser kühnen Flucht die Terrassentür nicht schließen konnte, folgten mir nicht nur vereinzelte Wespen, sondern auch die Nachbarskatze. Letztere schlich begehrlich um mich herum, schielte nach dem Fisch und ließ sich nur durch einige Schinkenwürfel lange genug von den Sardinen ablenken, die dann endlich in die Pfanne kamen.
Zwei Stunden kostete mich am Ende diese Vorspeise, das sind immerhin 10 Minuten pro Sardine! Noch einmal eine halbe Stunde musste ich veranschlagen, um alles, was mit dem rohen Fisch in Berührung gekommen war, gründlich sauber zu machen, die Gräten luftdicht im Müll verschwinden zu lassen und die Wohnung ausgiebig zu lüften. Nun weiß ich, warum wohl nur die wenigsten venezianischen Hausfrauen Sarde in Saor selber machen. Aber das Ergebnis ist wirklich wunderbar und kann jetzt im Kühlschrank noch ein paar Stunden perfekt durchziehen. Und wehe, es schmeckt heute Abend nicht!!! À bientôt!