Showtime am Saucentopf
Was soll ich nur kochen? Vermutlich wäre es wissenschaftlich hochinteressant, die Gedankengänge, Assoziationen und Hirnströme zu untersuchen, die am Ende zu dem führen, was wir dann vor uns auf dem Teller haben. Bei mir ist es manchmal die bloße Erwähnung eines Gerichts durch Freunde oder Kollegen. Es kann auch ein Duft sein, der aus einem Fenster weht, während ich dort vorbeigehe. Das Blättern in einem meiner Kochbücher kann mir auch mal die finale Idee geben. Spannend wird es aber, wenn man quasi „von der Seite“ kommt: Ich trinke einen bestimmten Wein und denke dabei plötzlich an ein Gericht, das dazu perfekt passen würde. Oder wie letztens. Ich stand im Laden und sah zarte Radicchiostauden in Weiß und Dunkelviolett, so perfekt wie gemalt. Ich liebe die zarte Bitternote von Radicchio, vor allem wenn er gebraten wird. Kontrapunkt auf dem Teller sollte ein zartes Rinderfilet sein, mit einer Balsamicosauce, die mit einem Twist ins süßlich-pikante daherkommen darf. Und das ging so:
Für den Radicchio:
2 Stauden Radicchio, zusammen ca. 500 g, geputzt, gewaschen und geviertelt
(den Strunk nur so weit entfernen, dass die langen, dünnen Blätter gerade eben noch zusammenhalten)
4 EL Balsamico-Essig
2 EL Honig
1 EL Körnersenf
3 EL Pflanzenöl
Salz und Pfeffer
Für das Rinderfilet und die Sauce:
400 g Rinderfilet
eine Espressotasse Balsamico-Essig
5 EL Zucker
ein 400 ml-Glas Rinderfond, auf ca. 180 ml eingekocht
ein kleines Glas roter Tawny-Portwein
schwarzer Pfeffer, Meersalz
Das Filet am Stück von allen Seiten schön anbraten. Ich mag es hier eher mit prägnanteren Röstaromen, also brät es bei jeder Drehung etwa anderthalb Minuten auf Stärke 8 (von 9). Dann wandert es in einer Schale in den auf 140 Grad vorgeheizten Backofen. Vorher steche ich ein Bratenthermometer in die dickste Stelle dieses köstlichen Brockens. So kann ich die Garung perfekt kontrollieren und das gute Stück immer zart und in perfektem Zustand servieren. Weil ich es nicht mag, wenn beim Essen Blut in die Saucen läuft, wird bei mir Rind häufig Medium Well serviert, also mit 62 Grad Kerntemperatur. Wie man auf dem Foto sieht, sind wir damit von der Schuhsole noch sehr weit entfernt.
So. Jetzt hab’ ich mich hier verquatscht, dabei wollten wir doch kochen! Wir haben jetzt freie Bahn für die Sauce. Der Zucker wird auf den Boden einer mittelgroßen Kasserolle gestreut. Bei hoher Temperatur lassen wir ihn jetzt schmelzen. Wenn er beginnt, sich dunkel zu färben, gibt es einen kurzen Augenblick der Panik. Ich denke dann immer: gleich verbrennt er! Davon nicht beirren lassen und weitere drei bis vier Sekunden zuschauen, wie das Karamell dunkler wird und Blasen wirft. Jetzt ist der perfekte Moment zum Ablöschen mit Balsamico. Dabei Handschuhe tragen und mit dem Kopf etwas Abstand halten, denn es steigen extrem heiße Dämpfe auf, wenn der Balsamico auf das blubbernde Karamell trifft. Dabei rühre ich mit einem Schneebesen so lange, bis sich der Zucker im Essig komplett aufgelöst hat. Dann gebe ich den Portwein und den reduzierten Fond dazu. Das Ganze lassen wir noch einmal etwas einköcheln, salzen und pfeffern großzügig.
Jetzt ist wieder Showtime: eventuell ein bisschen konzentrierter Rinderjus? Noch ein Schuss Port? Gar ein Klecks Crème Double? Noch etwas Pfeffer? Oder ein anderer Pfeffer? Diese wenigen Minuten sind immer so entscheidend für die Saucenwerdung. Genau in dieser kurzen Phase bleiben viele Saucen langweilig und belanglos, während einige wenige geschmacklich regelrecht explodieren. Niemand, der mich etwas besser kennt, würde wagen, mich in diesen zwei, maximal drei entscheidenden Minuten anzusprechen und aus dem Konzept zu bringen. Ich weiß nicht ganz genau was, aber es würde etwas Schreckliches passieren. Entscheidend sind in dieser Phase aber neben der Qualität der Zutaten und dem Gefühl für die richtige Balance auch der Esprit und die Tagesform des Menschen am Herd. Tatsächlich gibt es ein paar Saucen, die ich, einmal sehr gelungen, beim nächsten Mal exakt gleich anlege, und sie schmecken doch jedes Mal etwas anders. Jetzt hab’ ich schon wieder so lange rumgequatscht. Entschuldigung. Ist die Sauce fertig, wird sie mit eiskalten Butterflöckchen oder etwas Speisestärke gebunden und mit Deckel drauf beiseite gestellt. Durch den Deckel bildet sich kein Häutchen an der Oberfläche. Letztes Restwissen aus dem Physikunterricht.
Nun geht es dem Radicchio an die zarten Blättchen. Etwas Öl in der Pfanne erhitzen, das Gemüse eine Minute bei mittlerer Hitze anbraten und dann wieder aus der Pfanne nehmen. Dann lösche ich die Pfanne mit Balsamico, 4 EL Wasser und dem Senf ab und reduziere die Hitze. In diesen würzigen Sud kommt nun wieder der Radicchio, um gute 5 Minuten weiterzuköcheln.
Es ist geschafft. Jetzt sollte das Fleisch soweit sein und kann sich auf einem Schneidebrett unter etwas Alufolie noch etwas entspannen. Die 2 Minuten reichen, um unser Sößchen wieder auf Temperatur zu ziehen. Und jetzt wird serviert! Die Balance aus vollmundiger Würze, leichter Süße und bitteren Noten ist perfekt. Der Wein dazu darf nicht zu rund sein, sondern sollte ein paar Ecken und Kanten haben. Zum Beispiel ein schöner Madiran. Am Ende bekommt das Essen die höchste Auszeichnung: Frau Knauber verschwindet mit dem Rest von der Sauce und dem Saucenlöffel in der Küche. Ich weiß nicht genau was, aber ich bin mir sicher, der Sauce widerfährt dort Schreckliches. Wenn ich das nächste Mal nicht weiß, was ich kochen soll – dann weiß ich schon genau, was ich dann koche. À bientôt!