Magische Kugeln und ein Traum vom Süden
Es gibt Orte, die würde ich mit verbundenen Augen alleine an ihrem Duft erkennen. Ein ganz besonderer dieser Orte liegt im Vaucluse, im Dörfchen Sault. Wenn man die Metzgerei von Yves und Virginie betritt, dann trifft einen fast der Schlag, so intensiv ist der Duft der reifenden Schinken und Würste, die es hier bergeweise gibt. Zu Hunderten hängen 50 cm lange, fingerdünne Salamis, Brindilles genannt, wie ein Vorhang von der Decke herab. An den Wänden stapeln sich in Regalen Gläser und Flaschen mit Wein, Öl, Oliven und anderen Leckereien und in der Vitrine locken verschiedene Pasteten und frische Bratwurst mit Thymian. Unser Metzger Yves, baumlang, kernig und mit blankpolieren Schädel, steht mit seiner weißen Schürze hinter der Theke. Vor etwa zehn Jahren hat er den Laden übernommen und mit Ideen und Können total umgekrempelt. Hier wird nicht gekleckert, sondern dick abgeschnitten und markant gewürzt.
Ganz vorne rechts in der Vitrine steht eine Schale mit diesen kleinen, magischen Hackfleisch-Kugeln, dick wie eine Kinderfaust, obenauf ein Blättchen Salbei. Die inneren Werte dieser Kügelchen bestehen aus Leber, Spinat, Provencekräutern und der berühmten Gewürzmischung Quatre epices. Dieses Gericht findet man in der Provence häufig auf den Speisekarten, wobei Zutaten und Größe regional durchaus variieren. Früher gab es die würzigen Kugeln nur am Schlachttag. Caillettes (deutsch etwa: kleine Wachteln) werden sie – wohl wegen ihrer Größe – genannt und für diese leckeren Dinger gehe ich meilenweit. Oder auch nur in die Küche, wo ich sie dann selber mache. Zum Beispiel zusammen mit meinem alten Freund Matthias, mit dem ich schon öfter zusammen in der Provence war. Und das geht so:
Für die Caillettes:
1,5 kg gemischtes Hackfleisch (Rind und Schwein)
800 g Spinat, kurz blanchiert, in ein Küchenhandtuch eingeschlagen, ausgewrungen und dann fein gehackt
350 g Kalbs- oder Rinderleber, in Würfel geschnitten
2 EL Kräuter der Provence, gemörsert
Schwarzer Pfeffer, weißer Pfeffer
1 TL Gewürzmischung Quatre Épices
Fleur de sel oder Salz
2 Eier
ein Bund Salbeiblätter
Für die provencalische Tomatensauce:
1 kg Tomatenwürfel (weil es jetzt keine wirklich guten Spätsommertomaten mehr gibt, nehmen wir sie aus dem Tetrapack)
2 Zwiebeln, nicht zu fein gehackt
1 kleines Bund Petersilie, grob gehackt
2 dicke Zehen Knoblauch, fein gehackt
Pflanzenöl
Olivenöl
1 TL Kräuter der Provence, gemörsert
1 Prise Zucker
Fleur de sel oder Salz
Piment d´Espelette oder Chiliflocken
Das Hackfleisch mit den übrigen Zutaten vermengen und gut durchkneten. Dann abschmecken. Nun kleine Hackfleischbällchen von ca. 60 Gramm formen, auf ein gut geöltes Backblech setzen und auf jedes Kügelchen ein Salbeiblatt legen. Das Blech nun für 50 Minuten bei 150 Grad in den vorgeheitzten Backofen schieben. Schon nach wenigen Minuten beginnt es in der Küche derartig zu duften, dass man sich kaum auf die Tomatensauce konzentrieren kann.
Hierfür in einem großen Topf die Zwiebeln fünf Minuten bei mittlerer Hitze in Pflanzenöl andünsten. Die Petersilie dazugeben und die Temperatur erhöhen. Ja, jetzt schon Petersilie, denn die angedünsteten, fast frittierten Blättchen geben der Sauce eine besondere Note. Nach 2 Minuten den Knoblauch hinzugeben und eine weitere Minute anschwitzen lassen. Jetzt kommen die Tomatenstücke und ihr Saft in den Topf, dazu die Provencekräuter. Mit halb aufgelegtem Deckel bei zarter Temperatur 45 Minuten leise köcheln lassen, gelegentlich umrühren. Zum Schluss noch ein Schuss Olivenöl hinein und mit Salz, einer Prise Zucker und den Chiliflocken abschmecken. Ich bevorzuge hier die milden Chiliflocken, zum Beispiel aus Espelette, weil fein gemörserter schwarzer Pfeffer dazu neigt, Tomatensaucen einen gräulichen Farbstich zu geben – und das ist unschön.
Es wird serviert – und schon ist der ganze Raum vom Duft der Caillettes und der würzigen Tomatensauce erfüllt. Dazu passt ein kräftiger Cotes du Rhone, zum Beispiel der “Clos Beatus Ille” von der Domaine Saint Préfert. Wenn man jetzt die Augen schließt, kann man sich an einen Tisch im Vaucluse träumen. Als wir anstoßen, glänzen die Augen von Matthias, auch er ist wohl für einen Augenblick gedanklich im Süden. Ja, diese Caillettes sind sehr, sehr gut. Aber Yves macht sie natürlich noch ein bisschen besser. Wär’ ich nur schon dort! À bientôt.
p.s.: Wer mal in die Gegend kommt, findet den Laden hier.