Herr Mao und die magische Entensuppe
Um uns herum Lärm, Straßenverkehr und quirliges Leben in der Altstadt von Shanghai. „Probieren Sie mal das“, sagte mein Dolmetscher und schob mir eine Platte mit frittierten Hühnerfüßen über den Tisch. Dann ein Teller mit Kutteln und viel Chili. Der nächste Teller. Es schmeckte süß-sauer und fühlte sich weich an. „Was ist das?“, fragte ich ihn. „Das wollen Sie nicht wissen, und ich werde es Ihnen nicht sagen“, antwortete mein Dolmetscher höflich, aber bestimmt. Er begleitete mich vor etlichen Jahren mehrere Tage bei einer beruflichen Reise in Shanghai. Herr Mao, so hieß er tatsächlich, war ein ernster junger Mann, der in Deutschland studiert hatte und mich bei dienstlichen Gesprächen in China unterstützte.
Kurzfristig hatte sich ein geschäftlicher Termin zerschlagen, und es gab im Kalender einige Stunden Luft. Ich war neugierig, zum ersten Mal in China, und ich bat ihn, mit mir in seiner Heimatstadt Shanghai dahin zu fahren, wo das Streetfood scharf, brutal und ursprünglich ist. Mao war respektvoll. Das heißt, am Anfang unserer Exkursion schleppte er mich in einen Laden, dessen Küche in Berlin oder Dortmund als normaler Chinese durchgegangen wäre. Ich klappte die Karte zu. „Nein, Herr Mao, ich möchte wirklich die echte Küche von Shanghai erleben“.
Unsere kleine Odyssee ging also weiter, immer wieder musste ich ihm versichern, dass ich genau das suchte: ungeschminkte, ursprüngliche chinesische Küche. Herr Mao bewies Mut und ließ mich nicht im Stich. Nach den Hühnerfüßen und Kutteln landeten wir schließlich beim genialsten Streetfood, das ich je erleben durfte. Eine kleine, alte Frau tauchte die verbeulte Alu-Kelle in einen Topf, der mit sanfter Hitze köchelte, füllte eine ebenso verbeulte Alu-Schale, streute fein gehackte Kräuter darüber und reichte sie mir. Die Schale dampfte, sie duftete würzig und fleischig und köstlich. Herr Mao schaute mich aus seinen klugen Augen erwartungsvoll an, als ich probierte.
Von dieser Entensuppe träume ich seitdem. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie man sie kochen könnte. Jetzt bin ich erstmals ziemlich nah dran gekommen. Und hier ist sie:
(für 6 Personen)
600 g Entenbrust, auf der Fettseite rautenförmig eingeschnitten
500 ml Entenfond
800 ml Geflügelfond
3 EL demi glace oder konzentrierter Entenfond
150 ml Kokosmilch
150 g Kräuterseitlinge, in mundgerechte Stücke geschnitten
1 Bund Frühlingszwiebeln, in 0,5 cm dicke Ringe geschnitten, auch das Grün
2 dicke Karotten, grob gewürfelt (0,5-1 cm Kantenlänge, bei den Franzosen nennt man diese Würfelung hübsch „Jardinière“)
3 Zehen Knoblauch, feingehackt
1 kleines Bund Basilikum, in Streifen geschnitten
3-4 EL Thai-Chilisauce
2 EL asiatische Fischsauce
1 EL Teriyaki-Sauce
1 Prise Cayenne-Pfeffer
2 EL Fleur de Sel
Schwarzer Pfeffer (Mélange Noir von Ingo Holland)
Pflanzenöl
Zunächst die Entenbrüste salzen und pfeffern, auf der Fettseite ohne Öl scharf anbraten und dann bei mittlerer Hitze 4 Minuten weiterbraten, bis die Fettseite schön karamellisiert ist. Die Entenbrüste – bei mir waren es zwei Größere und eine Kleinere – in einer Schale im Backofen bei 130 Grad langsam auf 68 Grad Kerntemperatur garen.
Das ausgebratene Fett in einen Topf geben, etwas Öl angießen und nun die Karottenwürfel, die Pilzstücke und die Frühlingszwiebelröllchen bei mittlerer Hitze anschwitzen. Nach vier Minuten den Knoblauch zugeben und zwei Minuten unter Rühren weiter anschwitzen. Etwas Chilisauce und Fischsauce dazugeben, dann mit dem Fond und der Kokosmilch auffüllen. Mit Fleur de Sel, den Würzsaucen und Salz abschmecken, eine Prise Cayennepfeffer dazugeben. Fünf Minuten köcheln lassen, dann runterschalten auf die niedrigste Hitzestufe.
Die Entenbrust bei 68 Grad Kerntemperatur aus dem Backofen nehmen und abkühlen lassen. Die Flüssigkeit aus der Schale zur Suppe gießen, das verstärkt das Entenaroma und gibt der Suppe noch feine Röstnoten mit. Nun die Entenbrüste mit einem scharfen Messer längs teilen und quer in 0,5 cm dicke Scheiben schneiden. Die Entenscheiben in die Suppe geben, die Basilikumstreifen dazugeben und eine Minute durchziehen lassen. Das passiert auf niedrigster Temperaturstufe oder ohne Hitze bei geschlossenem Deckel. Das Ergebnis ist eine köstlich duftende, asiatische Suppe mit pikanter Schärfe, die durch die Kokosmilch etwas abgemildert wird und damit der zarten, aromatischen Ente einen glanzvollen Auftritt ermöglicht.
Herr Mao war glücklich, dass ich glücklich war. Ich glaube, er wunderte sich dennoch ein wenig über diesen deutschen Kunden, der in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes wild entschlossen war, so viel verwegenes Essen wie möglich kennenzulernen. Aber irgendwie ist das für mich einer der schönsten Gründe, auf dieser Welt zu sein. À bientôt!