Die Kronen der Lämmer
Ende Juli 1995. Wir sind in Saint Christol, einem kleinen Dorf in der Haute Provence. Ich stehe mitten auf einer staubigen Straße. Genauer gesagt inmitten einer riesigen Herde Lämmer. Sie laufen um mich herum, zwischen meinen Beinen hindurch, sie kommen von allen Seiten. Die meisten sind frisch geschoren. Die Sonne sticht, die Luft flirrt und duftet nach Thymian und Lavendel und um mich rum riecht es außerdem ein bisschen so, wie eine Herde Lämmer nun mal riecht.
Danach sitze ich mit meinem Freund Jens selig am Dorfplatz, trinke einen eiskalten Ricard, beobachte einen Boule-Wettbewerb und würde eigentlich gerne mitspielen. Diese gemeinsamen Wochen in Jensis altem „Westfalia“-VW-Bus waren magisch. Wie Vagabunden zogen wir jeden zweiten Tag an einen anderen Ort rund um den Mont Ventoux, trafen geheimnisvolle Trüffelhändler, entdeckten wunderbare Dörfer und schnupperten die Düfte von Kräutern und Pinien. Nachts wurden wir manchmal von Gewittern heimgesucht und nach ein paar Flaschen Gigondas dachten wir einmal sogar, wir hätten UFOs über dem Mont Ventoux gesehen. Spätestens seit dieser Zeit habe ich Südfrankreich nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Seinen Duft, das Konzert der Zikaden, die wundervollen Menschen und das herrliche Essen, das sie dort kochen.
Wenige Wochen später. Ich kann den Süden nicht loslassen. Damals unglaubliche 98 DM kostet mich ein Bildband mit vielen Kochrezepten, traumhaft zum Blättern und Schwelgen. Jahrelang vergessen, und gestern mal wieder aus dem Regal gezogen und durchgeblättert. Dabei kam die Inspiration für dieses traumhafte Osteressen, für eine Lammkrone in der Kräuterkruste mit Thymiansauce und grünem Spargel. Und so geht das:
(für zwei Personen)
2 Lammkarrees ohne Fettdeckel, jeweils ca. 400 Gramm
10 Stangen grüner Spargel
2 TL Pesto, als Garnitur für den Spargel
2 Karotten, geschält und längs in Scheiben geschnitten
für die Kräuterkruste:
40-50 g Butter
5-6 EL Semmelbrösel
1 kleine Zehe Knoblauch, feingewürfelt
3 EL Kräuter der Provence, feingemörsert
2 EL glatte Petersilie, feingehackt
1 TL Piment d‘Espelette oder Chiliflocken
1 Prise Salz (Fleur de sel)
1 Prise weißer Pfeffer
1 Prise schwarzer Pfeffer
1 Spritzer Zitronensaft
Für die Thymiansauce:
600 ml Kalbsfond (nein, kein Lammfond, so behält das markante
Lammfleisch die Hauptrolle auf dem Teller; hat mir mal vor langen Jahren
ein Profi-Koch nach Feierabend an der Theke meiner damaligen
Stammkneipe, der “Tomate 2” in Saarbrücken, verraten und ich habe mich
immer daran gehalten)
2 weiße Zwiebeln, ungeschält und halbiert
3 Löffel getrockneter Thymian (oder ein kleiner Bund frischer Thymian)
1 Schuss Sahne
2 EL Demi Glace (konzentrierter, gelierter Kalbsfond)
schwarzer Pfeffer
Salz (Fleur de sel)
Mit der Sauce fangen wir an, denn sie braucht Zeit! Dafür die Zwiebeln mit der Schnittfläche nach unten in einen Topf geben und in Pflanzenöl scharf anbraten, dabei etwas Farbe nehmen lassen. Mit dem Fond aufgießen, den Thymian hinzufügen und mit geschlossenem Deckel eine Stunde köcheln lassen. Danach einmal durch ein engmaschiges Sieb laufen lassen, um ein Drittel einkochen lassen und mit Demi Glace, Salz, Pfeffer und einem Schuss Sahne abrunden. Binden. Fertig. Dieses einfache, aber sehr aromatische Sößchen mit geschlossenem Deckel in Bereitschaft halten und kurz vor dem Servieren die Temperatur wieder etwas hochziehen.
Die Karottenstreifen blanchieren, abtrocknen, dann in einer Grillpfanne ganz kurz anrösten und warmhalten. Nun zur Hauptsache: Die Lammkarrees von beiden Seiten scharf anbraten und danach den Bräter bei 140 Grad in den vorgeheizten Backofen schieben. Die zarten Lammkronen werden dort knapp 20 Minuten brauchen, um eine Kerntemperatur von 62 Grad zu erreichen. So sind sie gar, bleiben aber saftig und sind im Inneren noch zartrosa. Jetzt den grünen Spargel zehn Minuten kochen oder (besser!) dämpfen. Dann verknete ich die Zutaten für die Kräuterkruste. Ist die Kerntemperatur des Lamms erreicht, trage ich die Butter-Semmelbrösel-Mischung auf jeweils eine Längsseite der Lammkronen auf. Nun werfe ich den Backofengrill an und schiebe die Lammkronen noch einmal fünf Minuten in den Ofen, bis die Kruste schön goldgelb ist. Aufgepasst! Verbrennt sie jetzt, war alles für die Tonne, also dabeibleiben und schon mal einen guten Roten testen, der dann zum Essen genossen wird: Ein Cotes du Rhone Villages von der Domaine de la Jerôme in Gigondas. Jetzt wird serviert! Dass es gelungen ist, beweist mir Frau Knauber, eine eingefleischte Lamm-Skeptikerin, durch das überaus säuberliche Abnagen der Kotlettknochen. Was für ein Osteressen!
Ich muss mich unbedingt bald mal mit Jens treffen. Von unserer großen Bustour muss es noch Tonnen von Dias geben, schließlich war das noch die vor-digitale Zeit. Dafür nehme ich mir zwei Flaschen Domaine de la Jérôme unter den Arm. Vielleicht sehen wir ja dann ein paar Ufos über der Spree!
p.s.: Das Kochbuch heisst „Provence – Küche, Land und Leute“ und ist von den bekannten SWR-Fernsehköchen Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer. Und nein, ich mache jetzt mal keinen Joke über Doppelnamen. Das Buch ist nur noch antiquarisch auf dem Markt, als großformatiges Hardcover oder als Taschenbuch und gibt mir auch nach 25 Jahren immer wieder gute Ideen. Und es feuert meine ewige Sehnsucht nach Südfrankreich berechenbar ein bisschen an. Ach. Es wird wirklich wieder Zeit für einen Ricard auf dem Dorfplatz.
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