Calamari zum Niederknien
Mein Mixstab war der beste. So ziemlich das letzte überlebende Stück meiner ersten Wohnung aus dem Jahr 1988. Das Design war schlicht, verschiedene Geschwindigkeiten oder Programme waren ihm fremd. Er ließ sich auch nicht mit dem W-LAN verbinden, weil es sowas damals noch nicht gab. Wir hatten ja nichts. Aber immerhin einen Mixstab und der hat genau das gemacht, was er sollte. Auch, als das Plastikgehäuse schon vergilbt und der Markenname lange abgeblättert war, quirlte und zerkleinerte er pflichtbewusst alles, von der Aioli bis zum Erdbeer-Daiquiri. Letztens, beim Bearbeiten einer Kartoffelsuppe, hat er sich dann nach 36 Jahren verabschiedet. Ohne ein Wort oder einen letzten Gruß. Es roch plötzlich unangenehm brenzlig und das kleine Messerchen hörte einfach auf zu rotieren.
Ungeachtet meiner Trauer wühlte ich mich tagelang durch Foren, Fachartikel und Testberichte. Was ich NICHT suchte, war beispielsweise ein Multifunktionsgerät mit zusätzlich ansteckbarem Knethacken, Zwiebelhacker, Schneebesen, Hobelaufsätzen oder einem Mahlwerk für Nüsse. Ich wollte auch keine zusätzliche Smart-Home Anwendung, die mir Energieverbrauch und CO2-Fußabdruck für das Schreddern von 6 Radieschen aufs Handy schicken kann. Nein, ich wollte einfach nur einen Pürierstab.
Letztlich fand ich doch irgendwann ein Basisgerät fast ohne alle Zusatzgimmicks und legte es in die Schublade. Genau dorthin, wo immer mein vertrauter Pürierstab gelegen hatte. Genau danach griff ich, als ich letztens eine scharfe Mayonnaise mit Harissa und etwas Safran herstellen wollte. Ich machte alles wie immer. Eigelb, Senf, Knoblauch, dann das Öl hinzutröpfeln lassen, den Pürierstab starten. Aber was war das? Minutenlang quirlte ich die Mischung durch, ohne dass sie wie sonst dickflüssig wurde. Nach 5 Minuten war ich schweißgebadet und fing an, in der Küche zu schimpfen.
„Wahrscheinlich läuft der Zauberstab zu schnell, aber das kann man doch bestimmt einstellen“, rief Frau Knauber beruhigend aus dem Esszimmer. Erschöpft schleppte ich mich zu ihr und klagte mein Leid. Auch den zweiten Anlauf beendete ich ergebnislos.
Ein schnell beauftragter Lieferservice, der nebst anderen Dingen auch Mayonnaise im Gepäck hatte, erlöste mich. Als ich wieder am Herd stand und das Glas Miracle Whip öffnete, war meine Motivation zum Kochen auf einem ziemlichen Nullpunkt. Ich schielte schon mal auf das Prospekt des Pizzaservice. Doch dann gelang wirklich etwas, das ich heute vorstellen möchte: Calamari nach Art der Camargue-Fischer, mit Kartoffelwürfeln und Rouille. Und das ging so:
(Für 2 Personen)
2 große Calamari-Tuben, in Ringe geschnitten
6 festkochende Kartoffeln, mittelgroß, geschält und in mundgerechte Würfel geschnitten
2 Gläser Weißwein (Chardonnay)
1 kleine Zwiebel, fein gewürfelt
1 TL Schnittlauchröllchen
1 EL Butter
Pflanzenöl
Fleur de sel
Weißer Pfeffer
Für die Rouille:
3 Zehen Knoblauch, geschält und fein gewürfelt
3 EL Mayonnaise (Miracle Whip)
1 üppiger TL Crème Fraîche
½ TL Safranfäden
½ TL Harissapaste oder eine ähnliche Menge Piment d‘ Espelette (oder beides)
1 knapper TL Senf
Fleur de sel
Weißer Pfeffer
Wir beginnen mit den Calamari, die brauchen nämlich ihre Zeit. Zunächst die Zwiebelwürfel in einer Mischung aus Butter und Pflanzenöl 5 Minuten sanft anschwitzen, dafür nehmen wir eine größere Kasserolle. 1 TL Knoblauchwürfel zugeben und 2 Minuten mit garen lassen. Nun kommen die Tintenfischringe hinzu und das Ganze wird mit dem Weißwein aufgegossen. Sehr zurückhaltend salzen und dezent pfeffern. Mit halb aufgelegtem Deckel eine gute halbe Stunde köcheln lassen. Danach den Deckel zur Seite legen, die Temperatur etwas erhöhen und so lange köcheln lassen, bis vom Weißwein nur noch ein halber Zentimeter hoch Sud im Topf übrig ist. Schon ganz zu Beginn ist die Küche von einem delikaten Duft erfüllt, der sehr an den Duft eines Muscheltopfes kurz vor dem Servieren erinnert.
In der Zwischenzeit die Kartoffelwürfel 10-12 Minuten in Salzwasser kochen, bis sie fast gar sind. Abgießen und bereitstellen. Aus der Mayonnaise, der Crème Fraîche, dem Senf, dem restlichen Knoblauch, der Harissapaste und dem Safran einen Dip rühren, der in Südfrankreich wegen seiner rötlichen Farbe Rouille, die Rostige, genannt wird. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Kartoffelwürfel jetzt in die Kasserolle geben. Alles gut vermischen, etwas Rouille nach Geschmack unterheben, noch einmal abschmecken und mit frischem Baguette und der restlichen Rouille servieren. Für die Optik noch einige Safranfäden darüberstreuen.
Das Ergebnis war wirklich köstlich und die Calamari sind dabei so unglaublich zart, wie ich es bis jetzt noch nie hinbekommen hatte. Frau Knauber hatte nach dem etwas dramatischen Vorlauf nicht damit gerechnet, dass solch ein Ergebnis zustande kommen würde: „Zum Reinknien ist das! Machst Du das bald wieder? Die Mayonnaise musst Du ja nicht unbedingt selber rühren.“ À bientôt!
p.s.: Ich weiß, was jetzt einige sagen werden. Mayonnaise, Aioli und Rouille kann man auch mit dem Schneebesen oder wie ein alter Provenzale im Mörser ganz ohne Rührgerät machen. Klar. Weiß ich. Aber als alter Nicht-Provenzale bin ich dafür vielleicht zu faul. 😉