Der Sicherheitsbeamte am Flughafen Marseille zeigte mit strengem Blick auf den Koffer. “Öffnen Sie ihn bitte”, forderte er Frau Knauber auf. Kaum war dies geschehen, erfüllten unglaubliche Düfte den Kontrollbereich. “Ah, c’est incroyable”, murmelte der Security-Mitarbeiter und starrte mit offenem Mund und leuchtenden Augen auf die duftende Fracht: Nougat, Claissons, Kräuter der Provence in allen Variationen, ein dicker Zopf Knoblauch und gleich zwei dicke Stoffsäckchen voller verschiedener langer, dünner Würste mit Knoblauch, Steinpilzen, Nüssen und dem leuchtend roten Piment d’Espelette. Die duften besonders gut, meinte er anerkennend und verdrehte genießerisch die Augen. Dann ließ er sich genau beschreiben, wo wir diese herrlichen Mitbringsel gekauft haben. “Im Paradies”, hätte Frau Knauber gern geantwortet, denn die kleine Charcuterie von Yves und Virginie ist nicht einfach nur ein Laden, sondern ein wirklicher Garten Eden für alle, die Fleischprodukte lieben: Überall hängen, liegen und stapeln sich hier Würste aller Kaliber, Schinken und Speck hängen in dichter Reihe von der Decke, die Vitrinen sind voller Pasteten, Feinkostsalaten, kleinen Briochettes mit Käse, Caillettes … Das alles kann man gut beschreiben, der Duft in dieser Schatzkammer des guten Geschmacks ist aber schier unbeschreiblich. Jedes Mal, wenn ich Yves’ Reich betrete, bin ich deshalb versucht, ihn um einen Stuhl zu bitten, und das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass hier wunderbar kühle Temperaturen herrschen im Vergleich zur Hitze draußen auf der Straße, sondern um einfach diese herrlichen Düfte länger genießen und das Auge an all den Schätzen länger verweilen lassen zu können.
Seit fast 15 Jahren ist diese Charcuterie immer mein erster Weg, wenn ich in Sault, dem kleinen Lavendeldorf am Fuße des Mont Ventoux, angekommen bin. Und ein kaltes Abendessen mit den Leckereien aus Yves Vitrine ist für uns die Tradition, mit der jeder Urlaub hier beginnt. Noch steckt einem die Reise ein bisschen in den Knochen. Man ist unausgeschlafen und ein bisschen müde von der Warterei auf den Flughäfen. Aber wenn der Tisch mit all den Köstlichkeiten gedeckt ist und die provencalische Sonne hinter der Silhouette des Dorfes mit seinem markanten Kirchturm verschwindet, dann ist alles gut. Praktischerweise ist gleich neben der Charcuterie der gut sortierte Wein- und Käseladen von Yves’ Frau, der immer fröhlich lächelnden Virginie, so dass wir für unser Abendessen auch noch einen zarten Banon aus den Kastanienblättern wickeln und eine gute Flasche Wein aufmachen können.
Wenn man sich dann mit Yves Manganaro über seine Arbeit unterhält, merkt man schnell, dass er an seine Arbeit hohe Qualitätsmaßstäbe anlegt. Alles, was in diesem Laden angeboten wird, jede Wurst und jede Pastete, stellt er selber her. Die wuchtigen Schinken macht er im Winter, wenn im Laden wenig zu tun ist, so dass die guten Stücke in aller Ruhe reifen können, bis die Saison wieder beginnt. Aber auch was er frisch zum Grillen bereithält, ist umwerfend gut. Die besten Merguez aller Zeiten zum Beispiel, die fein marmorierten Ochsenkoteletts oder die zarten Chipolatas mit würzigen Kräutern verwandeln jeden Grillabend in ein Fest. Am liebsten hätten wir nicht nur eine kleine Auswahl seiner Würste, sondern gleich Yves, Virginie und den ganzen Laden im Handgepäck mit nach Hause genommen! Da hätte es aber mit der Flughafenkontrolle sicherlich Probleme gegeben. Und so bleibt diese kleine, wunderbare Charcuterie da, wo sie hingehört: Im Herzen der Provence, wo alles viel intensiver duftet, schmeckt und aussieht, als es im Norden jemals sein kann. À bientôt!
p.s.: Yves taucht in diesem Blog nicht zum ersten Mal auf. Er macht, wie oben erwähnt, auch hervorragende Caillettes aus Hackfleisch, Leber und Spinat. Mein Rezept habe ich schon einmal hier verraten https://bit.ly/2ObcGGG. Vielleicht bekomme ich ja eines Tages auch das Rezept von Meister Yves 😉