Langobarde müsste man sein!
Die Langobarden hatten es schwer. Im kalten Elbgermanien hockten sie mit langen Bärten (daher ihr Name) herum, tranken Met, beteten zu Wotan und lebten in ständiger Bedrängnis durch die Vandalen und andere Raufbolde, denn es war die Zeit der Völkerwanderung. Dann müssen die Langobarden sehr viel richtig gemacht haben, denn aus dem kühlen Nordgermanien wanderten sie nach Italien ein, in das wunderschöne Gebiet an den norditalienischen Seen. Seitdem heißt diese Gegend auch Lombardei. Hier beginnt die diesjährige Tour der Gastronauten. Unser Interesse an dieser Region wurde nicht nur dadurch geweckt, dass die Langobarden von heute statt Met zu brauen ganz wunderbaren Wein machen. Sie und ihre Nachbarn im Norden von Bella Italia haben zudem die höchste Dichte an Sternerestauants auf der italienischen Halbinsel. Also kulinarisch betrachtet ist diese Gegend zwischen Mailand und Modena damit so etwas wie das Baden-Württemberg der Italiener.
Ahoi Lombardei! Seit vielen Jahren machen wir, mein alter Freund Jens und ich, um den ersten Mai herum eine Gourmetreise quer durch Europa. Schauplatz ist stets ein anderer kulinarischer Fixpunkt des Kontinents: Zum Beispiel an die Nordsee, an die Côte, ins Elsass oder bis ins Baskenland führen uns die alljährlichen, dreitägigen Gastronauten-Touren, eine Gourmet-Auszeit, in der nichts anderes zählt als der nächste Gang und das duftende Glas, das gerade vor uns steht.
Gestern ging´s wieder los, und zwar bei der Familie Cerea im legendären Dreisterner „Da Vittorio“ in Brusaporto, nicht weit von Bergamo. Schon wenn man über schmale Sträßchen und Feldwege durch die sonnige Frühlingslandschaft den Wegweisern folgt, beginnt eine Welt für sich. Hinter einem hohen, sich langsam öffnenden Tor liegt dann endlich eine ansteigende, hügelige Parklandschaft, in die sich ein verschachtelter Gebäudekomplex einschmiegt. Nun gut, vielleicht keine ganze Welt für sich, wirkt das Anwesen flächenmäßig aber doch schon wie ein veritabler Kleinstaat vom Kaliber Vatikan oder San Marino. Die Religion in diesem Kleinstaat ist der gute Geschmack und sein Hohepriester heißt Enrico Cerea. Das einige Stunden andauernde Hochamt wird in Form eines grandiosen Menüs zelebriert, auf einer schattigen Terrasse, umgeben von Wasserlandschaften, Kunstwerken und blühenden Bäumen.
Das Essen ist ein Traum. Da kommen rohe Kaisergranate aus Sizilien mit geeisten Wodka-Perlen und Limoncello-Aromen, karamellisierter Aal mit Balsamico auf einer federleichten Blumenkohlcrème, Salicornes und Walnüssen. Oder winzige, krosse Babytintenfische auf Pastinakencrème, vielleicht nur noch übertroffen von Steinbutt mit Blättern von zarten Salatherzen in einem einzigartigen Krustentiersud. Der ist intensiver und kräftiger als ich ihn je zuvor hatte, zugleich aber fein nuanciert und in keiner Weise derb. Schön, dass das Personal das Kännchen mit dem Fond für uns auf dem Tisch stehen lässt. Die Choreographie des Menüs ist in höchstem Maße durchdacht. Leichte, kleine Zwischengänge erfrischen, um dann den geschmacklichen Raum ein weiteres Mal freizumachen, etwa für zart gegarten Thunfisch mit Streifen vom rohen Spargel in einem kräftigen Bergamotte-Sud. Ja, und der Wein. Die Karte ist international, umfangreich und anständig kalkuliert. Aber warum immer nur trinken, was man schon kennt? Der Sommelier empfiehlt uns einen regionalen Wein namens Uccelanda, von eleganter Machart und ungewöhnlich lange anhaltendem, kräftigem, vielschichtigem Geschmacksbild. Teller kommen und werden wieder abgeräumt, es duftet jedes Mal anders und die laue Frühlingsluft scheint die Geschmackseindrücke noch zu verstärken. Eigentlich könnte es immer so weiter gehen. Leider ist es dann doch irgendwann Zeit für den Espresso.
Als wir nach diesem denkwürdigen Essen wieder zum Ausgang schlendern, steht die Sonne deutlich tiefer und taucht die ganze Parklanschaft in goldene Reflexe. „Signori“ ruft Chef Enrico und folgt uns mit schnellen Schritten. Er möchte sich von uns verabschieden und wünscht uns eine gute Weiterreise. Ja, Gastronauten müssen weiterziehen. Langobarde müsste man sein. À bientôt!
p.s.: Hier geht’s zum Restaurant: www.davittorio.com und hier zum Wein: https://www.bremer-weinkolleg.de/Weissweine/UCCELLANDA.html?_Smarketer/Weißwein_Marken&gclid=EAIaIQobChMIzNLr-K3d2gIVVvlRCh3kLQG6EAQYASABEgKFaPD_BwE
Thine 29. April 2018 @ 2:47
Herrlich, beneidenswert und schön! Ich habe den Abend hingegen mit meinem geliebten Vater wieder traditionell und grandios im Berliner Feedback genossen. Ja, genossen!!
Gute Weiterreise euch beiden! Und Herr Knauber bringt bestimmt ein paar Ideen mit .. 😉