Wenn Ali Baba kochen könnte …
Wenn ich mal auf einer einsamen Insel ausgesetzt werde, hätte ich gern meinen Gusstopf dabei. Von Oktober bis zur Spargelzeit gibt es nämlich kaum ein Wochenende, an dem er nicht zum Einsatz kommt. Und von allen Schmorgerichten ist Ossobuco einer meiner ganz großen Favoriten, denn es ist einfach wunderbar, wie dieses Traumgericht nach relativ kurzer Arbeit in der Küche stundenlang vor sich hin köchelt und dabei wie von Zauberhand immer besser wird.
Nur wenige Schnitte vom Fleisch werden beim Schmoren zarter als die Scheiben von der Kalbshachse mit ihrem prägnanten Knochen in der Mitte. Ich habe von diesem Klassiker schon viele Versionen gegessen und auch selber gekocht. Insofern dachte ich eigentlich, dass das Thema Ossobuco in allen Längen- und Breitengraden für mich erforscht ist. Bis ich zum Geburtstag von meiner Schwägerin ein fantastisches Kochbuch mit dem Titel „Jerusalem“ von Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi geschenkt bekam. (Kürzlich habe ich hier http://www.knauber-kocht.de/knauber-trinkt/frisch/orientalisches-schulterklopfen.htmlschon mal eine Lammkeule dieses jüdisch-palästinensischen Kochduos vorgestellt.) Darin findet sich eine Kreation aus der Volksküche der sephardischen Juden, die sich nach ihrer Vertreibung aus Spanien im 15. Jahrhundert rund ums Mittelmeer ansiedelten und später von überall dort kulinarische Traditionen nach Israel mitbrachten.
Zimtstangen, Sternanis, Orangenschalen, Knoblauch und getrocknete Pflaumen zaubern orientalische Aromen in den Topf, die alsbald das ganze Haus wie Ali Babas Schatzhöhle duften lassen – wenn Ali Baba kochen könnte. Der Duft ist so verführerisch, dass Frau Knauber in immer kürzeren Abständen nachfragt, wie lange es noch bis zum Essen dauert. Und das sind dann schon ein paar Stunden, aber das Warten wird üppig belohnt!
(Für 4 Personen)
4 Scheiben von der Kalbshachse, ca. 5 cm dick (sie werden oft zu dünn aufgeschnitten und sind nach meiner Erfahrung dann oft weniger zart)
500 g Zwiebeln, fein gehackt
3 Knoblauchzehen, fein gewürfelt
100 ml Weißwein
250 ml Kalbsfond
500 g Tomatenstücke (beste Qualität)
5 lange Zweige Thymian
2 Lorbeerblätter
Schale von 1 Bio-Orange, in Streifen abgeschält
2 kleine Zimtstangen
1/2 TL Pimentkörner, fein gemörsert
2 Sternanis
5 Stangen Lauch, nur die weißen Teile, in 1,5 cm breite Ringe geschnitten
150 g entsteinte Backpflaumen
schwarzer Pfeffer aus der Mühle (am besten Malaba-Pfeffer)
Fleur de Sel
Piment d‘Espelette
Pflanzenöl
Für die Garnitur:
4 EL Crème fraiche
2 EL abgeriebene Schale einer Bio-Zitrone
2 EL fein gehackte glatte Petersilie
2 Knoblauchzehen, fein gewürfelt
Schon angesichts der Zutatenliste bekommt man eine Idee davon, was uns am Ende erwartet. Das Ergebnis übertrifft diese Idee jedoch um Längen! Wir legen los. Die Fleischscheiben an der seitlichen, fast durchsichtigen Haut mehrmals einschneiden, salzen, pfeffern, in Mehl wenden und in einem großen Gusstopf auf beiden Seiten anbraten, bis sie eine goldbraune Farbe angenommen haben. Die Scheiben herausheben, auf Küchenkrepp zwischenlagern und das Öl wegschütten. Dann in neuem Öl die Zwiebeln und den Knoblauch ca. 15 Minuten anbraten, bis sie leicht gebräunt sind. Nun den Weißwein angießen und bei hoher Temperatur fast verkochen lassen. Jetzt kommt die Hälfte der Brühe dazu, ebenso die Tomatenstücke wie auch Thymian, Lorbeer, Orangenschale und alle Gewürze sowie etwas Salz und Pfeffer. Kurz aufkochen lassen. Die Kalbsbeinscheiben kommen jetzt zurück in den Topf, und der wandert dann für zweieinhalb Stunden mit geschlossenem Deckel in den auf 180 Grad vorgeheizten Backofen. Wenn sich das Fleisch dann noch nicht von den Knochen lösen lässt, muss der Topf nochmal eine halbe Stunde zurück in den Ofen.
Dann heben wir die Fleischscheiben wieder aus der Sauce und lassen sie kurz abkühlen. Das Fleisch von den Knochen lösen und wieder zurück in den Topf geben, das Mark aus den Knochen herauskratzen und beiseite stellen. Die Knochen können danach weg. In einer Pfanne nun die Lauchscheiben 3–4 Minuten kräftig anbraten, Pflaumen und Knochenmark dazugeben, mit dem restlichen Kalbsfond ablöschen und dann alles in den Topf geben. Nun umrühren, die Zimtstangen herausfischen und alles mit geschlossenem Deckel eine weitere Stunde in den Backofen schieben. Danach noch einmal abschmecken, mit etwas Piment d‘Espelette bestreuen und mit einem Klecks Crème fraiche servieren. Petersilie, abgeriebene Zitronenschale und Knoblauch vermischen und darüberstreuen.
Wenn der Teller vor einem steht, fühlt man sich tatsächlich wie Ali Baba vor der geöffneten Schatzkammer. Das Fleisch ist traumhaft zart, die süßen Noten von Pflaume und Zimt werden vom leicht bitteren Lauch und der Zitrone spannungsreich gebrochen. Am Ende kann man gar nicht mehr so genau sagen, welche Gewürze mit im Topf waren, so sehr hat sich alles zu einer köstlichen Mélange verbunden, die auf der Zunge förmlich explodiert. Man schließt die Augen und ist ganz weit weg. Im Orient zum Beispiel. Oder auf einer einsamen Insel. Wie gut, dass ich dann meinen Schmortopf dabei habe. À bientôt!
p.s.: Den Sternanis sollte man übrigens gut im Auge behalten und tunlichst am Ende auch herausfischen. Denn wenn man draufbeißt, bekommt man eine deutliche Ahnung davon, wie man zum Beispiel 40 Räuber ausschalten könnte.
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