Huhn im Topf – Provence im Kopf
Die Provence ist ein Traumland. Und sie duftet. Mit geschlossenen Augen wüsste ich genau, wo ich bin, wenn während einer Autofahrt mal harziger Pinienduft, dann ein Schwall von Rosmarin oder eine Wolke von Lavendel hereinwehen. Von Mitte Juni bis Mitte Juli ist es dort am schönsten. Mohn und Lavendel blühen zur gleichen Zeit, nachts kühlt es noch so weit ab, dass Natur und Mensch sich von der Hitze des Tages erholen können und die französischen Sommerferien haben noch nicht begonnen. So muss man diesen herrlichen Landstrich nicht mit allzu vielen Menschen teilen, wenn man sich eine ruhige Ecke ausgesucht hat. Meine ruhige Ecke ist seit 25 Jahren das Plateau de Vaucluse, wo man von fast überall den Mont Ventoux, den heiligen Berg der Provençalen, sehen kann. Die Luft ist hier wie vollgesogen mit den Düften des Landes. Meist weht auch ein leichter Wind, dazu erklingt der Gesang der Zikaden und das Summen der Bienen. Und völlig lautlos huschen Gekkos über sonnenbeschienenen Kalkstein. Man bleibt jetzt besser im Schatten und lässt ein paar Eiswürfel im Ricard-Glas Klirren.
Wenn die Abendsonne dann tief steht und die Landschaft in zartes, goldenes Licht taucht, löst man sich für zehn Minuten von diesem Schauspiel und geht in die Küche. Diese kurze Zeit reicht für ein Gericht, das bei mir nur in dieser Jahreszeit auf den Tisch kommt, denn in diesen Wochen um die Sommersonnenwende kommt der junge Knoblauch auf die bunten, quirligen Märkte der Provence. Der Knoblauch ist jetzt so frisch, dass man das lauchartige Grün oberhalb der Knolle noch in ein Omelette schnippeln und die Zehen ganz ohne Messer mit bloßen Händen schälen kann. Und wie das in der Küche duftet, wenn man den dicken Zopf mit den violetten, saftigen Knollen aufgehängt hat!
Wer sich vor Dämonen, Gespenstern und Vampiren schützen will, der lässt ihn dort hängen. Alle anderen machen jetzt das legendäre Huhn mit vierzig Knoblauchzehen. Ja, richtig gelesen: vierzig. Es dürfen auch mehr sein, aber bitte nicht weniger. Keine Sorge, der frische Knoblauch verliert in fast zwei Stunden im Gusstopf seine Schärfe, wird dabei mild und weich, sogar ein wenig süßlich. Und in dieser Menge wird er von der Gewürzknolle zum Gemüse. Eigentlich ist das Huhn eher ein Alibi, so köstlich wird der Knoblauch am Ende. Trotzdem behält er natürlich seine nachhaltige Wirkung auf Verdauungstrakt und Atem, weshalb ich auf die Zubereitung vor einem Arbeitstag lieber verzichte.
Das Huhn mit vierzig Knoblauchzehen ist ein Klassiker der südfranzösischen Küche und wurde wahrscheinlich dort schon gekocht, als man zwischen Avignon und Nizza noch Latein sprach. Vor 25 Jahren entdeckte ich das Rezept im wundervollen Kochbuch „La Cuisine provencale“ von Monique Lichtner. Praktisch habe ich mit diesem Buch in der Hand mit dem Kochen begonnen und bis heute nicht mehr aufgehört. Wobei man hier eigentlich nicht von Kochen sprechen kann, so einfach ist es.
1 Freiland-Maishuhn bester Qualität
40 Knoblauchzehen, von der äußeren, harten Schale befreit, aber nicht komplett geschält
6 Stengel Petersilie
Ein kleiner Bund Thymian (frisch, wenn möglich blühend, dann ist er besonders aromatisch)
2 Lorbeerblätter
Ein Zweig Rosmarin
Salz, schwarzer Pfeffer
1/2 Glas Weißwein oder Rose
1 TL Lavendelhonig
Eine Espressotasse Sahne
Das Huhn mit Olivenöl großzügig einreiben, salzen und pfeffern, dann Schenkel und Flügel mit Metzgergarn an den Körper binden. Etwas Thymian, 8-10 Knoblauchzehen und ein paar Zweige Thymian in die Bauchhöle platzieren. Restliche Knoblauchzehen und Kräuter in einen schweren Gusstopf geben, mit etwas Olivenöl und Wein begießen. Das Huhn darauf legen, Deckel drauf und bei 180 Grad ab in den Backofen. Nach 90 Minuten den Deckel abheben und den intensiven Duft genießen. Jetzt das Huhn herausheben, in eine Auflaufform setzen und etwa 10 Minuten im Backofen knusprig grillen. Währenddessen den Gusstopf bei mittlerer Hitze auf den Herd stellen. Hier hat sich in den letzten anderthalb Stunden ein hoch aromatischer Sud gebildet. Nicht viel, aber köstlich.
Und jetzt weiche ich von Monique Lichtners Rezept ab. Denn ihre Zubereitung ist an diesem Punkt schon fertig. Ich rühre noch einen Teelöffel Lavendelhonig ein und lasse das Ganze auf mittlerer Flamme zwei Minuten zart köcheln. Nun noch einen Guss Sahne dazu und wieder kurz einköcheln lassen, wenn nötig mit Salz und Pfeffer abschmecken. Zugegeben, das mit der Sahne ist jetzt nicht lupenrein provencalisch. Monique Lichtner würde wohl eine Augenbraue hochziehen. Aber nur bis zu dem Moment, in dem sie diese sahnige Sünde probieren würde. Wir schmecken eine köstliche, milde, aber ganz tiefe Intensität, zu der sich Huhn, Knobi, Kräuter und Sahne in diesem Sößchen verbunden haben. Vielleicht Gnocchi dazu? Fertig. Der Flattermann kommt wieder zurück in den Topf und kann in der Restwärme des Backofens bei geschlossenem Deckel noch ein paar Minuten warten, bis der Tisch gedeckt ist. Jetzt nur noch einen schönen Weißwein öffnen, zum Beispiel einen Domaine de la Tour aus dem Rhonetal. Und los geht´s. Wir schnuppern, wir probieren, wir genießen. Und für ein Essen lang befinden wir uns in der Haute Provence, wo immer wir auch gerade sein mögen. À bientôt!
p.s.: Zum Kochbuch von Monique Lichtner geht es hier.
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