Leckere Nachbarschaft
Ich kann heute noch in der richtigen Reihenfolge der Häuser die Familiennamen all unserer Nachbarn in der Straße meiner Kindheit nennen. Ich ging bei ihnen ein und aus. Familie Scholtes hatte Hühner und Hasen, und Frau Scholtes machte mir immer Pudding. Daneben wohnte Nicole – wegen ihres langen blonden Zopfes die große Liebe meiner Vorschulzeit. Auf der anderen Seite Familie Klein. Mit ihren Söhnen Peter und Ralf eroberte ich die uns umgebenden Wiesen und Wälder.
Heute haben wir zwar auch Nachbarn, aber in der Großstadt läuft das leider anders. Ich weiß noch, wie erstaunt ich vor 20 Jahren war, als mancher Bewohner desselben Hauses in Berlin demonstrativ nicht zurückgrüßte. Heute kenne ich kaum die Namen an der nächsten Tür. Auch daran gewöhnt man sich. Auf Pudding sollte ich sowieso verzichten, und Frau Knauber hat an manchen Tagen auch einen hübschen blonden Zopf. Ganz ohne nette Nachbarn sind wir aber zum Glück nicht. Wir haben Petra und Georg auf der Nachbarterrasse und auf unserem Flur Ute und Thomas, Bei unseren Nachbarn wird übrigens exzellent gekocht. Als Thomas kürzlich an seinem Geburtstag ein spannendes Kochbuch doppelt bekommen hatte, überließ er mir eines davon. Darin fand ich ein Rezept für ein Entenragout, das es in sich hatte. Dazu trugen vor allem die insgesamt sechs Stunden Kochzeit bei. Das Rezept habe ich etwas abgewandelt.
(Für 4 Personen)
Entenfond:
5 Entenkeulen, Haut ablösen, entbeinen und das Fleisch für später beiseitestellen, die Haut brauchen wir heute nicht mehr; es sollten etwa 1,2 kg Fleisch sein
1 Stange Lauch, grob zerteilt
2 große Zwiebeln, ungeschält und halbiert
4 Möhren, ungeschält, grob zerteilt
1 Stück Sellerie, faustgroß, geviertelt
3 Zehen Knoblauch, ungeschält und abgequetscht
6 Zweige Petersilie, grob gehackt
4 Pfefferkörner
1 Pimentkorn
50 cl Madeira
70 cl Noilly Prat
2,5 l Wasser
Fleur de Sel
Zunächst die Entenknochen in einen offenen Bräter geben, mit etwas Pflanzenöl begießen und 20 Minuten bei 200 Grad im vorgeheizten Backofen anrösten. Wenn sie dann noch zu wenig Farbe haben, können es auch gerne fünf oder sieben Minuten länger sein. Währenddessen in einem großen Topf die Zwiebeln mit der Schnittfläche nach unten anbraten, bis sie schon etwas schwarz aussehen. Mit Madeira ablöschen und diesen ein wenig einkochen lassen. Dann die angerösteten Entenknochen und das Suppengemüse, Pfeffer und Piment dazugeben. Mit dem kalten Wasser aufgießen und drei Stunden ganz leise köcheln lassen. Die Brühe dann einmal durchsieben. Knochen und Gemüse können nun weg, denn sie haben diesem Fond alles gegeben, was in ihnen steckte. Bevor die Brühe aber zum Fond wird, beginnt die Feinarbeit. Sie wird jetzt eingekocht und zwar auf maximal 700 ml. Zwischendurch Noilly Prat angießen und weiter einkochen lassen, bis auf 500 ml. Dann zart salzen und zurückhaltend pfeffern. Vielleicht noch einen Schuss Madeira? Der Fond ist fertig.
Jetzt geht’s weiter mit dem Ragout, das man auch als Bolognese bezeichnen könnte. Aber eben von der Ente.
1,2 kg Entenfleisch ohne Haut und Knochen, in 1 cm Breite Scheiben geschnitten
1 Handvoll fein gewürfelter Bauchspeck
4 EL Entenschmalz aus dem Glas
2 Zwiebeln, fein gewürfelt
2 Knoblauchzehen, grob gewürfelt
2 Stängel Staudensellerie, fein gewürfelt
2 Möhren, fein gewürfelt
1 daumengroßes Stück Ingwer, fein gewürfelt
1 EL Tomatenmark
2 Nelken
5 Wacholderbeeren
300 ml Weißwein (ich habe einen Viognier aus der Provence genommen)
Kräutersträußchen:
1 Zweig Rosmarin
5 Zweige Thymian
1 Zweig Salbei
1 kleiner Zweig Majoran
1 EL Ahornsirup
100 g kalte Butter, gewürfelt
Fleur de Sel
Schwarzer Pfeffer aus der Mühle
Jetzt geht’s los! In einem großen Gusstopf Zwiebeln, Knoblauch und Speck in Entenschmalz fünf Minuten andünsten. Das übrige Gemüse, das Tomatenmark und den Ingwer dazugeben und bei geringer Hitze zehn Minuten weiter dünsten.
Das Entenfleisch durch den Fleischwolf drehen (mittlere Lochscheibe) und in einer separaten Pfanne in Entenschmalz anbraten, bis der Fleischsaft verdampft ist und das Hackfleisch etwas Farbe angenommen hat. Dabei eventuell portionsweise vorgehen, weil es eine ziemliche Menge ist. Mit dem Weißwein ablöschen, diesen fast vollständig einkochen lassen und dann das angebratene Entenhack in den Gusstopf zum Gemüse geben. Mit dem Fond aufgießen, das Kräutersträußchen, die Nelken und den Wacholder dazugeben und drei Stunden lang leise köcheln lassen. Der Deckel bleibt die Hälfte der Zeit halb aufgelegt, die restliche Zeit darf unser Ragout ohne Deckel sanft einkochen. Die drei Stunden sollte man dem Ragout schon geben, es lohnt sich! Nun die Butterwürfelchen einrühren, mit Fleur de Sel, Ahornsirup und Pfeffer abschmecken. Hier kann man jetzt letzte Akzente setzen: eventuell eine kleine Spur Quatre Épices dazugeben. Oder ein wenig Orangenpfeffer. Ach, es duftet köstlich! So köstlich, dass man es kaum abwarten kann, dieses Ragout auf breiten Bandnudeln mit etwas geriebenem Grana Padano zu servieren. Das doppelte Einkochen und die lange Garzeit hat die Aromen zu ungeheurer Tiefe verdichtet: Mehr Ente geht nicht!
Es geht halt nix über nette Nachbarn. Auf dem Dorf sowieso. Aber auch in der Stadt. Und Ute und Thomas werde ich dieses feine Ragout sicher irgendwann mal servieren. À bientôt!
p.s.: Das Kochbuch „Perfektion Pasta“ haben ein Lebensmittel-Physiker und ein Koch nach jahrelanger Beschäftigung mit den Geheimnissen italienischer Nudelküche gemeinsam geschrieben. Sie leiten dabei wissenschaftlich her, warum bestimmte Rezepte eigentlich „funktionieren“ und haben diese dann noch einmal perfektioniert. Lesenswert! Und unerwartet, wenn man – wie ich – mit Physik in der Schule eher auf Kriegsfuß gestanden hat.