Über Ordnung und Hirsch mit Kruste
Provisorien sind nicht immer ideal, aber wenn man sich über Jahre an sie gewöhnt hat, sind sie irgendwann Teil jener großen Balance, sie sich Zuhause nennt. Zumindest für mich. Frau Knauber sieht das anders. Sie hasst Provisorien. Und jetzt wollte sie es endlich richtig machen. Irgendwann im Januar hatte es begonnen. Frau Knauber hatte beschlossen, den Frühjahrsputz auf den Winter vorzuverlegen. Was zunächst harmlos mit dem Aussortieren alter Reiseführer in meinem Arbeitszimmer begann, griff alsbald auf Esszimmer und Küche über.
Als erstes traf es den Gläserschrank. Zunächst wurden alle Gläser gespült, poliert und neu sortiert. Soweit in Ordnung. Doch dann wurde die mit den Jahren zugegebenermaßen etwas unübersichtlich gewordene Ansammlung von Schnäpsen, Likören und Essigen einer kritischen Betrachtung unterzogen. „Mit diesem Ouzo sind wir doch damals schon umgezogen“, murmelte Frau Knauber unter Geklapper und Geklirre, als sie fast komplett im Schrank verschwunden war. „Und an diesem Likör hängt noch eine Grußkarte von Deinem 40. Geburtstag 2008.“ „Aber …“ setzte ich an. Bevor ich weitersprechen konnte, streckte mir eine Hand aus dem Schrank Flasche um Flasche entgegen, die ich murrend beschnupperte, manchmal probierte und schließlich widerstrebend, aber mit gebrochenem Willen entsorgte. Einige, ich hänge sehr an ihnen, versteckte ich außer Sichtweite von Frau Knauber in der Küche, um sie später wieder in den Bestand zu schmuggeln.
Damit musste ich mich allerdings beeilen, denn am nächsten Tag ging es in ebenjener Küche weiter. Die Küche ist mein wichtigster Lebensraum in unserem Apartment. Meine Ordnung (oder was ich darunter verstehe) in Schubladen und Schränken wurde systematisch dekonstruiert und in ein völlig anderes System gebracht. Verzweifelt zog ich mich mit einem Buch ins Schlafzimmer zurück. Ich überließ meine Küche dem Geklapper und Geraschel und Frau Knauber dem großen Glück der Gestalterin, die mit ordnender Hand ein Jahrzehnt männlicher Nachlässigkeit bereinigen kann.
Plötzlich war es still. War es vorbei? Vorsichtig öffnete ich die Schiebetür zur Küche. Frau Knauber saß erschöpft, aber zufrieden am Esstisch, ein Glas Wein vor sich. Erwartungsvoll strahlend schaute sie erst zu mir, dann zur Küche. „Na? Das ist doch jetzt wirklich eine richtig gut organisierte Küche, oder?“
Ich koche immer noch sehr gerne für Frau Knauber, auch wenn ich sie manchmal immer noch fragen muss, wo meine Messbecher oder die Salatschleuder zu finden sind. Letztens machte ich für meine gründliche, wunderbare Frau einen Hirschrücken mit Dukkah-Kruste. Dukkah? Das ist eine marokkanische Gewürzmischung, in der unter anderem Kreuzkümmel, Koriander, Sesamkörner und Nüsse enthalten sind. Und diese Leckerei geht so:
(Für 4 Personen)
1 Hirschrücken, nicht unter 1 kg
2 EL Orangenmarmelade
25 g Dukkah-Gewürzmischung (ich nehme die von Rimoco)
Für die Wildsauce:
1 Glas Wildfond, ca. 400 ml (wer es weniger intensiv mag, dem sei Kalbsfond empfohlen)
1 kl. Glas Marsallah
30 g Butterstücke (eiskalt)
Fleur de Sel
Schwarzer Pfeffer aus der Mühle
1 kleine Prise Lebkuchengewürz
1 Prise Quatre Épices
Als Beilage passt ein winterliches Backofengemüse. Das lässt sich gut vorbereiten und dann vor dem Servieren aufwärmen.
Zunächst wird der Hirschrücken von allen Seiten bei höherer Hitze angebraten. Es sollten rundum schöne krustige Röstatomen entstehen. Dann kommt der Braten bei 140 Grad in den Backofen und muss bis zu einer Kerntemperatur von 58 Grad gegart werden. Ein Bratenthermometer hilft, den wirklich perfekten Punkt zu treffen. Wie lange das dauert? Bei 140 Grad sollte es in 30 Minuten fertig sein. Aber: Je langsamer die Garung, desto zarter das Fleisch. Es lohnt sich also durchaus, auf 110 Grad Ofentemperatur zu gehen und eine entsprechend längere Garzeit einzuplanen.
In dieser Zeit wird die Sauce zubereitet. In die noch heiße Pfanne vom Anbraten den Marsallah gießen, der auf die Hälfte einkochen darf. Nun etwas von dem Fond angießen, ein wenig einköcheln lassen und dies so oft wiederholen, bis der Fond komplett verarbeitet ist. Nun mit einem Schneebesen die Butterstücke nach und nach einmontieren. Butter gibt der Sauce einen schönen Glanz und natürlich etwas Bindung. Zum Schluss noch mit den Gewürzen abschmecken und warmstellen.
Der Braten ist jetzt fast fertig. Zuerst vermischen wir die Orangenmarmelade und die Dukkah-Mischung zu einer Paste. Dann den Hirschrücken bei 54 Grad aus dem Ofen nehmen und der Oberseite mit der Dukkah-Paste bestreichen. Nun das gute Stück zurück in den Backofen schieben und die Paste unter dem Grill in 2 Minuten zur Kruste werden lassen. Unbedingt aufpassen, dass nichts verbrennt. Duftend, lecker, fertig!
Dazu nichts Geringeres als einen gut gereiften Châteauneuf du Pape einschenken.
Als ich Frau Knauber das besondere Gewürz in diesem Gericht verriet, nickte sie lächelnd. Dann murmelte sie mit leuchtenden Augen: „Ja! Die Gewürze!“ und fokussierte ihren Blick an mir vorbei auf meine unzähligen Döschen und Streuer, die sich rund um den Herd und auf der Abzugshaube befinden. (Sie sehen nicht gut sortiert und geordnet aus, aber ich habe ein eingespieltes System, mit dem ich über die Jahre inzwischen fast immer finde, was ich brauche.) „Wollen wir uns die nicht mal am Wochenende endlich vornehmen?“ À bientôt!
p.s.: ich will nicht verschweigen, dass weibliche Gründlichkeit mitunter Dinge reguliert, die man(n) schon längst abgeschrieben hatte. Da war plötzlich der sehr kraftvolle Standmixer von Kennwood wieder repariert und zeigte nach Jahren, wie lecker Frozen Daiquiri sein kann. Meine Kochschürzen haben jetzt jede ihren eigenen Haken, erstmals ist nun auch unser Gläserschrank elegant beleuchtet. Und das mit den Gewürzen hat sie hoffentlich vergessen.