Die zarte Distel und der alte Wüstling
Zurückgewiesene Liebe ist oft der Anfang von sehr viel Ärger. Zum Beispiel für die wunderschöne Blondine Cynara, die sich, so die Legende, dem allzeit bereiten Göttervater Zeus verweigert haben soll. In seinem männlichen Stolz getroffen, verwandelte er Cynara in eine Distelpflanze, die Cynara scolymus, unsere Artischocke. Dieser mythologische #metoo-Fall hatte damit zumindest für die Nachwelt etwas Gutes.
Für mich sind Artischocken mit das Schönste, was die Märkte im Frühling und im Sommer für die Küche bieten. In der Vorbereitung sind sie etwas anspruchsvoll, aber wenn man das zweite oder dritte Dutzend verarbeitet hat, weiß man, wie man an den Blättern und am hellen Heu vorbei- und an den köstlichen Boden herankommt. Die dicken Exemplare findet man in nördlichen Gefilden häufiger, sie sind mit einer Aioli oder Vinaigrette eine wunderbare Vorspeise, Blatt für Blatt. Wer es nur auf die Böden abgesehen hat, wird in Venedig glücklich: da findet man sie, küchenfertig frisch geputzt, eimerweise in Zitronenwasser schwimmend an jedem Gemüsestand. Aber die kleinen Exemplare sind die, die wir für diese Vorspeise brauchen.
Ich hatte letztens das Glück, ein Bund der kleinen, dunkel-violett glänzenden Artischocken beim Gemüsehändler zu entdecken. Die wollte ich gratinieren, als Vorspeise in einem sommerlichen Menü. Und das ging so:
(Für 2 Personen)
8 kleine Artischocken
3 Zitronen
1 Zweig Rosmarin
3 Zweige Thymian
4 Pfefferkörner
2 Zehen Knoblauch, ungeschält halbiert
Für die Gratin-Kruste:
8 TL geriebener Parmesan
6 TL Semmelbrösel
4 TL gehackte Petersilie
2 kleine oder 1 dicke Zehe Knoblauch, fein gehackt
6 EL Olivenöl (oder mehr, falls nötig)
schwarzer Pfeffer aus der Mühle
1/2 Zitrone zum Beträufeln beim Servieren
Die Artischocken vom Stängel abschneiden, 4 Zentimeter dabei stehen lassen. Die obere Hälfte des Kopfes abschneiden, hier sind die Besitzer großer scharfer Kochmesser klar im Vorteil. Die äußeren, harten Blätter abbrechen, Stängel rundum schälen, die Artischocke halbieren und das Heu oder den Ansatz davon mit einem möglichst scharfkantigen Teelöffel entfernen. Dann ab mit der Artischocke in einen Topf mit Wasser, in dem zwei Zitronen, geviertelt und ausgepresst, schwimmen. Sind alle Distelköpchen so präpariert, hat man einen Riesenhaufen Abfall vor sich, dafür schwimmen 16 relativ kleine Artischockenhälften im Zitronenwasser.
Der Topf kommt jetzt auf den Herd. Rosmarin, Thymian und den ungeschälten Knoblauch hinzufügen. 5-7 Minuten sieden lassen, dann die Hitze abschalten und den Topf mit den Artischocken weitere 5 Minuten abkühlen lassen. Nun die Artischocken aus dem Wasser nehmen und auf Küchenpapier abtropfen lassen. Die delikaten Köpfe sind jetzt noch bissfest, aber fürs Gratinieren optimal vorgegart.
Die Zutaten für die Gratin-Kruste zu einer zähen Paste vermengen. Wie viel Öl man nimmt, hängt davon ab, wann die Paste nicht mehr krümelig, sondern gerade schon streichfähig ist. Jede Artischockenhälfte bekommt jetzt einen Löffel aufgestrichen. Dann für 10 Minuten in den auf 200 Grad (Umluft) vorgeheizten Backofen. Zuletzt noch 5 Minuten übergrillen, mit Zitronensaft beträufeln und servieren. Bitte die Zitrone keinesfalls vergessen, sie ist der frische Pfiff, den diese Vorspeise braucht.
Wer dazu einen eiskalten Rosé aus der Provence auf dem Tisch hat und ein Schälchen Aioli (vielleicht mit Zitronenabrieb verfeinert), wird mit dieser knusprigen, sommerlichen Vorspeise richtig viel Freude haben. Und wer daran ganz vorsichtig schnuppert, wird spüren: Sie liebt und belohnt gefühlvolle Köche, die schöne Cynara.
Tja, Zeus. Wärst Du doch nur Koch gewesen. À bientôt!