Pasta, Frühling und ein alter Meister
Die Tür flog auf und ein ganzer Schwall feucht-kalte Luft strömte herein. Es war genau die Zeit in Venedig, die sich anfühlt wie eine Sekunde vor dem Frühling. Aber noch war es kühl, noch floss der Regen in einem unendlichen Strom. Wir hatten uns in unserer Lieblings-Weinbar „Ai Pugni“ in der Nähe des Campo San Barnaba an der Bar festgesetzt, genossen die fröhlich-brodelnde Stimmung und verkosteten die besten Weine Italiens, die hier oft aus Magnum-Flaschen kredenzt werden. Hinter dem Schwall kalter Luft schob sich eine imposante Gestalt in die kleine Weinbar. Ein alter Herr Mitte/Ende 80, stattlich, mit markantem Gesicht, langen weißen Harren, einer Fellmütze und einem langen Mantel. Wie Rüschen quollen jede Menge gemusterter Tücher aus dem Kragen seines Mantels, als er neben uns einen der begehrten Fensterplätze einnahm und genüsslich seinen ersten Prosecco trank. An den Fingern dicke Ringe. Eine Erscheinung wie aus einer anderen Dimension.
„Woher kommen Sie?“ fragte er, sich uns plötzlich zuwendend, in fehlerfreiem Deutsch. Es wurde ein langer Abend mit Ludivico de Luigi, so sein Name. Vom Deutsch, das ihm in der Mussolini-Zeit in der Schule eingebläut wurde, wechselte er gern zu Französisch, dann wieder ins Englische. Ludovico ist in seinem Leben viel rumgekommen: In Marseille, Boston, Toronto und vielen anderen Städten stehen seine gigantischen Pferde-Skulpturen, seine Bilder hängen in den besten Museen der Welt. Sein Werk ist irgendwo zwischen Dalí und der Postmoderne einzuordnen, und immer wieder spielt Venedig dabei eine zentrale Rolle. Für uns war der Abend ein langer, faszinierender Ritt durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und die Kunstszene Venedigs seit den Tagen von Peggy Guggenheim. Und wir durften an seinem Optimismus teilhaben. Der Frühling in Venedig, versicherte er uns, der stehe jetzt wirklich ganz kurz bevor. Es war eine Begegnung mit einer beeindruckenden Persönlichkeit. Wir müssen oft an Ludovico denken, wenn wir von Venedig sprechen, gerade jetzt, wo wir keine Möglichkeit haben, dort mal wieder hinzukommen. Ich sehe ihm sogar nach, dass er schon nach kurzer Zeit relativ unverhohlen mit Frau Knauber flirtete, der alte Meister.
Ein paar Meter weiter am Kanal entlang gab es ein kleines familiengeführtes Lokal, in dem die einfachste Pasta Venedigs immer die köstlichste war: Bigoli in Salsa. Und die funktionieren so:
(für 4 Personen)
15 Sardellenfilets in Öl, abgespült und sehr fein gehackt
1 dicke rote Zwiebel, fein gehackt
Salz, schwarzer Pfeffer
6 EL neutrales Pflanzenöl
1 kleine Handvoll Petersilie, grob gehackt
300 g Bigoli oder Vollkornspaghetti (Integrali)
Der Reiz dieses Tellers ist seine Einfachheit, wie so oft in Italien. Die Zwiebelwürfel 10 Minuten in Öl leise anschmoren, ohne dass sie Farbe nehmen. Dann die Sardellenstückchen zugeben und die Hitze etwas hochdrehen. Wer möchte kann gern das restliche Öl aus der Sardellendose hinzugeben. Die Fischlein sollen sich nahezu in der Pfanne auflösen. Bei mittlerer Hitze die Salsa in der Pfanne gelegentlich bewegen und die Nudeln aufsetzen. Immer wieder etwas Nudelwasser zugeben und einkochen lassen. Wir haben jetzt eine ziemlich kleine Menge einer sehr würzigen Sauce in der Pfanne. Etwas salzen und pfeffern. Nach der Garzeit die Nudeln abgießen, anrichten und mit der pikanten Salsa und gehackter Petersilie servieren. Mehr ist es nicht, aber es ist köstlich!
Irgendwann in dieser Woche geschah es dann tatsächlich. Die Sonne brach durch und glitzerte auf den Kanälen, die Luft in der Lagune änderte ihren Duft, ihre Temperatur und die Menschen saßen plötzlich wieder vor den Türen der Cafés und Bacaraos. An unserem Abreisetag zogen wir unsere Rollkoffer über das bucklige Kopfsteinpflaster hinter uns her, überquerten die Ponte dei Pugni, um über den Campo Santa Margherita den Busbahnhof zu erreichen. Da sahen wir ihn. Leichter Mantel, silbrige Mähne, Rüschentücher. Mit einem Aperol Spritz in der Mittagssonne sitzend und schmunzelnd das bunten Treiben auf den Gassen beobachtend. Als er uns sah, blitzten seine Augen, er machte eine Geste zum blauen Himmel und rief uns fröhlich zu: „Ich habe es ja gesagt: La Primavera! La Primavera!“. À bientôt!
p.s.: Hier bekommt man einen kleinen Einblick in die Arbeit unseres alten Meisters, an den wir für immer eine besondere Erinnerung behalten werden: Ludovico De Luigi – Svedutista Visionario Veneziano – FilmFreeway