Die Nostalgie der Flammen
Zu den größten Höhepunkten meiner Kindheit in den 70er Jahren gehörten die Sonntage, an denen wir mittags im Restaurant essen gingen. Besonders gern mochte ich die Ausflüge über die Grenze, wo es dann beim Franzosen leckere Weinbergschnecken in viel Petersilie, Butter und Knoblauch gab. Unglaubliche Geschmacksexplosionen! Ich liebte auch die krossen Brathähnchen im „Trierer Hof“, in Heusweiler, wo ich ein, zweimal im Monat mit meinem Papa im Vater-und-Sohn-Format einkehrte. Essen gehen, das war in diesen Zeiten noch etwas Besonderes. Und es gab viel Liebe zum Detail. Über die Enden der Hähnchenschenkel waren kleine Papiermanschetten gestülpt. Danach gab es Schälchen mit warmem Zitronenwasser, in dem man sich die Finger säubern konnte.
Die Kellner trugen damals nicht Holzfällerhemden, Dutt und Tattoos. Sie waren stattdessen die unfehlbaren, korrekt Helmut-Schmidt-mäßig gescheitelten Halbgötter in schwarz-weiß, hatten die Herrschaft über beeindruckende, messingglänzende Käsewagen und zelebrierten meisterlich DEN special effect der damaligen bürgerlichen Küche: das Flambieren! Die Stichflamme in einer kleinen Pfanne vor den Augen der Gäste, ihr bläuliches Herunterbrennen, begleitet von dem Duft des karamellisierenden Cognacs oder Calvados – das alles erschien mir wie eine Mischung aus Kochen, Zauberei und Zirkusbesuch. Ach.
Flambiert? Wird heute nicht mehr. Schade eigentlich. Also habe ich jetzt als kleinen Gegentrend in meiner Küche ordentlich die Flammen züngeln lassen. Und es war so lecker!
(für zwei Personen)
600 g Iberico-Schweinelende
1 Apfel, geschält und in Spalten geschnitten
1 kleine Zwiebel, fein gewürfelt
700 ml Kalbsfond, reduziert auf ein Drittel
3 cl Calvados
150 ml Sahne
1 Zweig frischer Rosmarin
2 TL Apfelgelée
1 Stich Butter
Salz
schwarzer Pfeffer aus der Mühle
Die schön marmorierte Schweinelende mit Salz und schwarzem Pfeffer einreiben und von beiden Seiten scharf anbraten. In einer Schale bei 150 Grad in den Backofen stellen, bis die Kerntemperatur von 62 Grad erreicht ist. In die Pfanne jetzt einen Stich Butter geben. Die Apfelspalten bei mittlerer Hitze auf beiden Seiten ca. 5 Minuten goldgelb braten, dabei dezent mit etwas Zucker, etwas Salz und Pfeffer bestreuen. Zum Schluss die Apfelspalten in der Pfanne mit einem Schnapsglas Calvados begießen und den Schnaps mit einem Stabfeuerzeug in Brand setzen. Dabei bitte keinesfalls über die Pfanne beugen, sondern Abstand halten! Sonst sieht es für die Augenbrauen und Haarspitzen schlecht aus. Wie das loderte! Frau Knauber kam in die Küche gelaufen, um das Schauspiel der sanft entflammten Äpfel nicht zu verpassen. Die Pfanne mit den Apfelspalten beiseite stellen.
Die Zwiebelwürfel in einer kleinen Kasserolle in einem Schuss Pflanzenöl und ein wenig Butter glasig dünsten. Mit dem reduzierten Fond aufgießen, kurz köcheln lassen und die Hälfte der Sahne in den Topf geben. Etwas einkochen und die restliche Sahne hinzufügen. Die Sauce leise weiterköcheln lassen und währenddessen mit Apfelgelée, Salz und Pfeffer würzen. Der Gelée darf die Sauce nicht ins Süßliche ziehen, das wäre fatal. Die pikante, dabei aber sahnig eingerahmte Würze muss der Haupteindruck des Sößchens bleiben. Und kaum merklich bringt das Apfelgelée eine ganz zarte, subtile Fruchtigkeit mit ein, es ist aber wirklich nur ein Hauch. Die Sauce jetzt mit Butterflöckchen oder Speisestärke binden, die Hitze abstellen.
Das Fleisch bei 62 Grad Kerntemperatur aus dem Ofen nehmen und kurz ruhen lassen. In dieser Zeit die Pfanne mit den Apfelspalten kurz bei mittlerer Hitze hochziehen. Zuletzt den Lendenbraten aufschneiden und alles servieren. Dazu gibt es kleine halb-und-halb Knödelchen und eine Flasche gut gekühlten Grillo „Terre del Sole“ aus Sizilien.
Ach! Das ist jetzt fast wie sonntags, in den 70er Jahren. À bientôt.