Das Leben ist zu kurz für Elbling!
Ihr wart noch nie bei einer Weinprobe? Dann bitte einsteigen und anschnallen. Es gibt für mich im Jahreskreis nur wenige schönere Momente als diesen: die Sonne scheint, und wir fahren, vom Saargau kommend, hinunter ins Moseltal. Der Blick wird weit. Glitzernd windet sich der Fluss zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg und weiten, terrassierten Weinbergen hindurch. Da drüben liegt Schengen, dort hinten sieht man die mächtige Burg über dem lothringischen Sierck-les-Bains thronen. Der Himmel ist knallblau, das Laub an den Rebstöcken knallgrün, barocke Häuschen und üppig behängte Obstbäume fliegen vorbei. Ein reiches, bezaubernd schönes Fleckchen Erde, das wunderbaren Wein hervorbringt. Und wunderbare Menschen. “Hier müsste man leben!”, denke ich dann immer. Es ist also so eine typische Situation, bei der sie in Provence-Filmen immer den Weichzeichner anknipsen.
Das muss auch schon vor über 2000 Jahren vielen so ergangen sein, denn tief unter dem Asphalt, auf dem wir dem Moseltal entgegensausen, liegt die alte Römerstraße, und um uns herum waren in der Antike riesige Villenkomplexe, gewissermaßen als architektonisches Echo des nahen Trier, in der Spätphase des Imperium Romanum einer der Regierungssitze. Und wie rund um die Hauptstadt Rom von den Albaner Bergen bis nach Kampanien, so bauten sich auch hier die Spitzen des Hofstaats im Umland ihre Sommerresidenzen. In Berlin heißt das heute Wannsee. Neben allerlei Innovationen wie fließendem Wasser, Fußbodenheizung, zahlreichen neuen Göttern und Bildender Kunst brachten die lebensfrohen Römer auch einige Schiffsladungen Setzlinge für Weißwein mit. Elbling. Der Name leitet sich also nicht von der Elbe her, sondern vom lateinischen albus, zu Deutsch “weiß”, was die Farbe des Weins beschreibt.
Sehr viele haben sehr lange gedacht, seit der Antike sei hier dann weinmäßig nicht mehr sonderlich viel passiert. Bis vor ein paar Monaten nämlich wurde dieser bemerkenswerte Landstrich von der professionellen Weinwelt weitgehend ignoriert. Außer dem säuerlichen Elbling nämlich gebe es hier nichts, konnte man jahrzehntelang in vielen Weinlexika lesen und ob nun im “Feinschmecker”, “Vinum” oder bei Johnson, dieser Landstrich blieb ein weißer Fleck.
Ich habe mich seit 20 Jahren gefragt, wie dies möglich sein konnte. Denn dass es hier außer Elbling nichts gibt, ist glatte Fake-News, und das weiß seit Jahrzehnten auch jeder Weinfreund im Umkreis von 100 Kilometern. Tatsächlich machen sie hier in diesem kleinen Ort mit dem schönen Namen Perl seit anderthalb Winzergenerationen Qualitätssprünge, die ebenso atemberaubend wie weitgehend unbemerkt geblieben sind. Primus Inter Pares der gerade mal ein Dutzend Winzerfamilien vor Ort ist seit jeher Ralf Petgen. Der über 1,90 große Mann mit dem schalkaften Lächeln kam nach Studienjahren in Berlin zurück an die Mosel und übernahm Schritt für Schritt von seinem Vater Alfons das Weingut. 20 Jahre später hat er die schon zu seines Vaters Zeiten beachtliche Qualität noch einmal massiv gesteigert, Weinberge in besten Saar-Lagen hinzugekauft und entwickelt, die Produktion ins 21. Jahrhundert gebracht. Ralf und seine Frau Brigitte waren jahrzehntelang einfach so gut, dass man sie irgendwann nicht mehr übersehen konnte und kürzlich bei der renommierten Berliner Wein Trophy unter tausenden Winzern mehrfach prämiert hat. Ihre Flaschen unter den über 12.000 Blindproben brachten den Petgens neben vielen Medaillen nämlich auch den Sonderpreis als Deutschlands beste Winzer. Chapeau! Schon im Frühjahr hatte auch das Fachblatt “Vinum” endlich mal genauer hingesehen, mehrere Gewächse aus Perl sehr hoch bewertet und kurz davor gab sogar der Gault Millau 2017 eine Empfehlung für die Petgen-Weine ab. Nun, es hat mich eigentlich nur überrascht, dass es so lange gedauert hat, bis die Fachpresse und die Experten endlich bemerken, was die Petgens (und einige andere hier) seit vielen Jahren in die Flaschen zaubern. Denn schon Ralfs Vater Alfons hatte den Elbling sukzessive durch Burgunderreben ersetzt, den spannenden Auxerrois für die Region entdeckt und so manche alten Zöpfe abgeschnitten. “Das Leben ist zu kurz, um nur Elbling zu trinken”, ist seitdem ein geflügelter Spruch in der örtlichen Winzerszene.
Entschuldigung, ich habe mich jetzt ein bisschen verquatscht und dabei sind wir schon da. Wie oft war ich schon hier? Nach Weinbergswanderungen mit meinem Vater, mit lieben Freunden und Freundinnen. Mit 30 habe ich alte Eisweine verkostet, dann meinen Vierzigsten hier gefeiert, manches mal auch das Glas direkt unter die Presse gehalten und den frischen Most probiert… Es ist immer wie heimkommen. Und jedes mal miterleben, wie die Arbeit dieser Winzerfamilie von Jahr zu Jahr immer noch besser wird. Ralf Petgen begrüßt uns herzlich und führt uns in die Probierstube, wo schon zwei Dutzend gut gekühlte Flaschen warten. Zuerst gibt’s ein bisschen Rosé, und dann wirds ernst. Grauburgunder, Chardonnay, Weißburgunder. Gutswein, Spätlese, Auslese, Barrique, so klettern wir die Hierarchie langsam nach oben, Rebsorte für Rebsorte. Später dann noch einige der immer noch unterschätzten Rotweine und kleine Überraschungen. Ein straffes und ebenso köstliches Programm.
Der weiße Burgunder duftet sehr verlockend und vielversprechend. Als ich gerade trinken will, springt Ralf auf: “Ich hole mal den 14er, zum Gegenprobieren!”, ruft er und verschwindet im Lager. Als er zurückkommt, hat er auch etwas ganz besonderes dabei, nämlich einen Sauvignon Blanc aus dem Barrique. Die erste Ernte einer neuen Anlage, nur 200 Liter in diesem Jahr. Ein Wein, der bereits im kommenden Jahr zum regulären Angebot gehören soll. So etwas nennt man “Jungfernwein”. Premieren hatte ich hier über die Jahre schon öfter, doch das ist wirklich eine Überraschung. Sauvignon aus dem Barrique? Passt die feine Säure und die stachelbeerige Frische dieser Rebe zur Wucht, die das Eichenfass dem Wein mitgibt? Sie passt. Ralf ist stolz auf seine Weine und hat allen Grund dazu. Das Terroir, den Keller, die Vinifizierung hat er voll im Griff und die Weine strahlen das auch aus, vom einfachen Gutswein bis zur raffiniertesten Kreation. In diesem Jahr mag ich vor allem die Grauburgunder und die Chardonnays. Vor allem von den alten Reben.
Weinbau ist wohl immer eine Gratwanderung zwischen Tradition und neuen Ideen, verbunden mit Mut zum Experiment, viel Expertise und einer guten Portion Glück mit dem Wetter. Hier stimmt alles: Die Mineralität der Saar-Rieslinge ist absolut hinreißend, Säurespiel und Frucht der weißen Burgunderreben sind exakt balanciert und köstlich. Weine zum Essen und Weine einfach nur zum Genießen.
Im Weinberg ist der 2017er schon sehr weit, meint Ralf Petgen. Ein sehr gutes Jahr kann es werden, wenn das Wetter hält. Stundenlang könnten wir jetzt noch hier sitzen bleiben, erzählen und uns von der Begeisterung des Winzers mit immer neuen Kreszenzen anstecken lassen. Bei uns drängt aber inzwischen die Zeit. Für ein spätes Mittagessen ist in der Nähe ein Tisch bestellt und hier werden die Essenszeiten noch eingehalten: Wer nach halb zwei zu Tisch geht, kann allenfalls noch mit einer kleinen Bistro-Karte vorlieb nehmen. “Aber den Chardonnay Brut müsst Ihr unbedingt noch probieren!”, ruft Ralf, wieder mit einer Flasche unterm Arm aus dem Lager kommend. Es lohnt sich! Dieser Winzersekt lässt so manchen Champagner mehr als alt aussehen. Auch davon lassen wir uns was einpacken. Als dann der letzte Kofferraumdeckel zuklappt und wir kurz danach vom Hof fahren, steht Ralf Petgen noch vor seinem Lagerhaus und winkt uns nach. In unseren Kofferräumen klappert es gemächlich. Fröhlich fahren wir durch sonnige Weinberge zum Essen, lassen den Blick durch das Moseltal schweifen und freuen uns schon auf nächstes Jahr. Hier müsste man leben! À bientôt!
p.s.: Weil ich mich den alten Römern gegenüber nicht undankbar zeigen will, habe ich auch diesmal wieder eine Kiste Elbling mitbestellt. Eigentlich ist der ja gar nicht so übel.