Italienisch, im Vorbeigehen
Meine Liebe zur italienischen Küche entstand im Vorbeigehen. Wenn ich als kleiner Junge meinen besten Freund besuchen wollte, musste ich einmal quer durch unser Dorf gehen. Kurz vor meinem Ziel kam ich durch die Schwarzenholzer Straße, in der damals viele italienische Familien lebten. Die Männer arbeiteten bei Ford oder im Stahlwerk, manche auch unter Tage im Bergbau. Und die Frauen kochten! Besonders im Sommer war der Weg durch die Schwarzenholzer Straße ein Fest, weil aus den offenen Fenstern im Erdgeschoss die unglaublichsten Düfte wehten, die ich je geschnuppert hatte. Kräuter, dichte Nudelsaucen und vor allem Knoblauch dufteten so verlockend, dass ich mich gerne dazugesetzt hätte.
Daran musste ich denken, als ich im März, der Lockdown hatte gerade begonnen, vor einem leergefegten Nudelregal bei Karstadt stand. Laut Statistik haben die Deutschen in jenem Monat 170 Prozent mehr Pasta gekauft als in einem normalen März. Und so lag dort neben einer großen Auswahl an Vollkornnudeln (die offenbar nicht zum Hamstern einluden) eine einsame, letzte Packung Spaghetti. Die nahm ich mit. Und machte mich an das einfachste und womöglich köstlichste Nudelrezept: Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino!
(Für 2 Personen)
250 g Spaghetti
2 dicke Knoblauchzehen
8 EL Pflanzenöl
1 Espressotasse Olivenöl
1 gestrichener Esslöffel Peperoncino, Piment d‘Espelette oder Chiliflocken
Salz (Fleur de Sel)
Geriebener Parmesan
Manche würfeln den Knoblauch hierfür sehr fein, ich habe aber auch schon Menschen gesehen, die ihn ganz wie in „Good Fellas“ mit einer Rasierklinge in hauchdünne Scheiben schneiden. Ich mache ähnlich dünne Scheiben mit meinem Gemüsehobel, an dem ich die Dicke einstellen kann. Auf kleinster Stufe dürften das anderthalb Millimeter sein. Entscheidend ist, dass die Scheiben exakt gleich stark sind, weil sie dann alle gleichzeitig den gewünschten Garzustand erreichen.
Dann werden die Spaghetti aufgesetzt. Nun kommt eine kleine Pfanne zum Einsatz, in die ich zunächst das Pflanzenöl gebe. Nein, ich nehme dazu jetzt noch kein Olivenöl, weil es bei hohen Temperaturen einen unangenehm beißenden Geschmack entwickelt. Das Öl lasse ich bei mittlerer Hitze heiß werden. Dann kommen die Knoblauchscheibchen hinzu, und zwar nicht übereinander in kleinen Stapeln, sondern nebeneinander, damit sie schwimmend vom heißen Öl komplett umschlossen werden. Das soll langsam ablaufen, damit das Knoblaucharoma sanft in das Öl übergehen kann. Jetzt ist der einzige Platz für den Koch am Herd, denn dieser Vorgang ist heikel: 30 Sekunden zu lang, und der duftende Knoblauch wird dunkel und bitter. Also aufpassen und den richtigen Punkt nicht verpassen. Der ist erreicht, wenn der Knoblauch einen blonden Karamellton annimmt. Dann ziehe ich die Pfanne von der Herdplatte, lasse sie kurz abkühlen und gebe jetzt das Olivenöl hinzu.
Die Spaghetti abgießen, zurück in den Topf geben und dann mit dem Knoblauch und dem Öl gründlich vermengen. Nun noch eine Prise Salz und den Peperoncino dazugeben. In vorgewärmten Tellern servieren und erst bei Tisch den Parmesan darüber streuen. Wenn ich dann vor diesem Teller sitze und die Augen schließe, bin ich wieder sieben Jahre alt und laufe an den magischen Fenstern in der Schwarzenholzer Straße vorbei …
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