Ein Hochamt für den Beaujolais
Stellt Euch das mal vor: Eine alte, aufgegebene Kirche, mitten in einem kleinen Bergdorf namens Julienas, mitten in Frankreich. Anstelle des Altars stehen wir vor einer riesigen, quadratischen Theke. Die Wände und Decken dieser Kirche wurden offenbar irgendwann in den 50er Jahren über und über mit Motiven des Weingottes Bacchus und seiner weinseligen Groupies ausgemalt. Wo einst der Rosenkranz gebetet wurde, duftet es nach Wein, es ploppen die Korken, es gibt keinen Zweifel: Wir sind im Beaujolais!
So sicher, wie sich Weihnachten jedes Jahr wiederholt, ist das auch beim dritten Donnerstag im November der Fall. Überall auf der Welt vollzieht sich exakt an diesem Tag ein Ereignis, über das manche Weinkenner ein wenig die Nase rümpfen, das aber sicher ebenso viele Weinliebhaber sehnsüchtig erwarten. Der Primeur kommt in den Handel, der erste Wein des neuen Jahrgangs. Drei Monate von der Lese über Gärung, Reifung und Abfüllung bis zur entkorkten Flasche auf dem Tisch, das ist wirklich rasant. Zu rasant, meinen die einen, die richtigerweise auf gereifte und sorgsam ausgebaute Weine Wert legen. Recht haben aber auch die anderen, die diese leicht gekühlten Rotweine gerade für ihre jugendliche Fruchtigkeit und den betörenden Duft nach Kirschen und roten Beeren lieben. Die Tage bis zu jenem magischen Donnerstag zählen sie wie einen Countdown runter.
Über den Beaujolais und die gleichnamige Gegend zwischen Macon und Lyon könnte man ein Buch schreiben. Über das zunächst hügelige, dann bergige Land entlang der Saône, seine weiten Weinberge, hineingestreuten Dörfchen und einsamen Kapellen. Vor allem aber über die fröhlichen, fleißigen und trinkfreudigen Menschen, die dort leben. (Ich hoffe, mein alter Freund Eugen mit seinen 65 Jahren Beaujolais-Wissen wird dieses Buch eines Tages schreiben, nachdem er es nun seit 20 Jahren ankündigt!) Es hilft natürlich, das Land zu kennen, um den Beaujolais Primeur besser zu verstehen. Aber eigentlich reicht es auch zu wissen, dass dieser Frühwein ursprünglich abgefüllt wurde, um die Helfer der Weinlese zu beschenken und mit ihnen zünftig zu feiern. Und ein Wein für eine ausgelassene, fröhliche Fête, das ist das dunkelviolett schimmernde Tröpfchen allemal.
Man sagt dem Primeur ja nach, dass er einen schlimmen Kater verursacht. Ich halte das eher für eine Folge seiner animierenden Süffigkeit, die einen trotz bester Vorsätze das eine oder andere Glas zu viel trinken lässt. Womöglich hat der große und globale Erfolg des jungen Weins auch dazu beigetragen, dass der Ruf des Beaujolais insgesamt gelitten hat. Jahrzehntelang wurden in deutschen Weinkreisen die Augenbrauen leicht angehoben, wenn jemand über Beaujolais sprach. Neben dem Lambrusco in der Korbflasche war für manchen auch der Beaujolais eine Erinnerung aus Studentenzeiten, auf die der arrivierte Weinkenner eher nicht so gerne zu sprechen kam.
Das beginnt sich seit wenigen Jahren gründlich zu ändern. Im Handel und auf den Listen der Händler gibt es inzwischen mehr und mehr exzellente Beaujolais-Weine aus berühmten Lagen wie Brouilly, Julienas oder St. Amour, die mühelos auch mit guten Burgundern mithalten können. Diese Qualität war tatsächlich nie verschwunden, sie wurde nur nicht bemerkt. Das Image des Zechweins war stärker, und es brauchte wohl auch mancherorts junge, motivierte Winzer mit ungewöhnlichen Konzepten und gutem Marketing. Wenn heute in Weinkreisen beim Stichwort Beaujolais so manche Augenbraue angehoben wird, dann aus Interesse und Neugier an den neuen Top-Qualitäten. Diese haben zwar ihren Preis, sind aber jeden Cent wert.
Und doch: Ich empfinde gerade die einfacheren Beaujolaisweine als etwas ganz besonderes. Wenn ich an Beaujolais denke, dann erinnere ich mich am liebsten an eine Reise vor langen Jahren mit guten Freunden, die uns eines Tages in jenes kleine Örtchen namens Julienas führte. Vor dem Barockschlösschen am Ortsrand gibt es einen kleinen Park, der auch gepflegt wird. Aber glücklicherweise nicht so sehr, dass es dort ungemütlich ist. Der Park war unser Ziel für das sicherlich schönste Picknick meines Lebens. Im Auto duftete es verwegen nach Paté, Würsten, Käse und Schinken von einem nahen Wochenmarkt. Im Kofferraum klapperten die Flaschen, die wir soeben in den Kellern von St. Amour und Julienas eingepackt hatten. Dieses Picknick in der Nachmittagssonne mit seinen herrlich gefüllten Tellern, den knackigen Radieschen, dem duftenden Wein, unserem Gelächter und dem Klirren der Gläser ist für mich eine kleine Ikone in der kulinarischen Erinnerung, die mit diesem Wein untrennbar verbunden ist.
Noch ein bisschen glänzender wird diese Ikone aber auch durch die Küche des Beaujolais und des Lyonnais. Diese Salate mit ihren Senfdressings und buttrigen Croutons, die sahnigen Saint Marcellain-Käse oder der zarte fromage blanc! Ganz zu schweigen von deftiger Paté de Campagne oder feiner Rosette-Salami … Ok, ok, ich muss mich jetzt bremsen. Aber nur noch zwei Wochen, bis zum dritten Donnerstag im November. Der Countdown läuft. À bientôt!
p.s.: Seitdem ich in Berlin lebe, komme ich nur noch sehr selten in diesen ganz besonderen Landstrich, was wirklich schade ist. Aber man weiß sich zu helfen. In Berlin gibt es nämlich eine kleine, aber feine Szene französischer Weinbars, die einen Besuch wert sind. Da jeder französische Gastronom im Ausland sich sympathischerweise auch ein wenig als Botschafter der französischen Lebensart versteht, gibt es dort am dritten Donnerstag im November das volle Programm. In diesem Jahr wird mein Primeur-Erlebnis bei Sébastien Gorius in der “Cantine d’Augusta” stattfinden, für mich definitiv der beste kleine Franzose innerhalb des S-Bahn-Rings: https://www.lacantinedaugusta.com/blog
Außerhalb des S-Bahn-Rings ist ohne Zweifel “Chez Bruno” in Zehlendorf in jeder Hinsicht high-end, auch was die gute Laune betrifft. Aber das ist eine andere Geschichte.
p.p.s. Wer sich die oben beschriebene Kirche näher ansehen möchte, findet sie hier und wird sehen: Ich habe nicht übertrieben!
https://www.tripadvisor.de/Attraction_Review-g1080947-d10292011-Reviews-Le_Cellier_de_la_Vieille_Eglise-Julienas_Rhone_Auvergne_Rhone_Alpes.html
EU 30. Oktober 2017 @ 19:12
Wie immer; getroffen!
Buch schaffen wir noch! Bekanntlich kommt mein zu fruehes Ableben erst mit 103.’
Bis bald, EU
Rainer Knauber 30. Oktober 2017 @ 22:27
103 ist leider unambitioniert. Schon wenn Du mal überlegt, wie viele Jahrgänge von Trichard Dir entgehen würden. 2048 wird zum Beispiel ziemlich gutes Mostgewicht aufweisen. Ich bin dann erst 80 und ohne Dich wär das Vergnügen arg gemindert!