Pasta ohne Nasenring
Wer das „il Punto“ in Berlin-Mitte betritt, ist in einer anderen Welt. Einer Welt, die sich vom übrigen Berlin unserer Tage sehr unterscheidet: Dunkle, polierte Hölzer statt des üblichen Sperrmüll-Chic. Dicke weiße Tischdecken statt roher Bretter, an denen die Klamotten Fäden ziehen. Große Tische mit großem Abstand voneinander und bequemen Sesseln, statt kleine wackelige Tischlein dicht an dicht mit noch wackligeren Stühlchen. Hoch aufmerksame, freundliche Kellner, die mit schwarzer Weste und blauer Krawatte als solche erkennbar sind, statt gelangweilter Hipster mit Bart-Zöpfen, Nasenringen und Tattoo.
Man muss kein großer Experte sein, um zu spüren, dass es hier entspannt-gediegen zugeht und alles dafür getan wird, dass man sich als Gast wohlfühlt. Das „il Punto“ ist vieles. Ein wunderbares Restaurant, ein diskreter Treffpunkt, ein Ort der Qualität: Nur ein paar Meter weit vom „Einstein“ gelegen, zieht das „il Punto“ zur Mittagszeit auch manche an, die dort schon seit 8 Uhr im Stundentakt ihre Gespräche führen. Nicht nur die diskreten Einflüsterer finden sich hier. Man sieht auch mal den Bundespräsidenten, den Bundestrainer, Minister und Manager, aber man muss nicht mit gepanzerter Limo vorfahren, um hier willkommen zu sein. Das Restaurant ist weitläufig, Stützpfeiler brechen die Sichtachsen und schaffen Privatsphäre, wie sie in der Großstadt selten ist. Im Sommer gibt es noch einen großen, überdachten Wintergarten, der mit seinen Olivenbäumen und Oleandern an eine italienische Piazza erinnert. Abends ist das Publikum gemischter, auch die Speisekarte wird ein bisschen länger, der Inhalt etwas mondäner, während der Service auf hohem Niveau weiter sein super Ding macht: Die Augen immer beim Gast und seinen Wünschen, dabei stets professionell und mit echter Freundlichkeit unterwegs. Bei diesem Service merkt man, dass hier leidenschaftliche Gastgeber im Einsatz sind.
Es ist ohnehin sehr familiär hier. Chef Guiseppe Perna begrüßt den Gast schon mal per Handschlag, die Mitarbeiter kenne ich teilweise seit über einem Jahrzehnt, ihre Fluktuation ist praktisch gleich Null. Solche Orte muss es geben, sonst hat die Welt keine Seele mehr. Umso schöner ist es, dass hier die Evolution in der Küche nicht in den 80ern, sozusagen beim Carpaccio, stehen geblieben ist, sondern Chef Enrico Catapano spürbar daran arbeitet, neben den Klassikern der italienischen Küche auch Neues auszuprobieren. Dabei drehen sie im „il Punto“ die Qualitätsschraube immer ein bisschen ambitionierter und weiter als anderswo: So habe ich zum Beispiel bislang noch keinen Ort außerhalb Italiens gefunden, wo man die knackigen, leicht süßlichen und absolut delikaten Mazara del Vallo-Gambas roh zu Essen bekommt. Im „il Punto” stehen sie auf der Karte. Dabei hat schon die Gastronomie im italienischen Inland Probleme, an solche Ware überhaupt heranzukommen! Und auch wenn die Küche eher klassisch italienisch mit sizilianischem Einschlag ist, bedient sie sich immer mal wieder einiger Techniken aus der Molekularküche. Hierbei geht es Chef Enrico aber nicht um Effekthascherei, sondern darum, für jedes Produkt die bestmögliche Veredelung zu finden.
Man könnte jetzt noch seitenlang erzählen von weiteren Highlights, der Weinkarte, der tollen Qualität auch des offenen Sauvignon oder der köstlichen panna cotta. Spare ich mir alles. Jetzt ist selber probieren angesagt! Wer den Weg in dieses wunderbare Restaurant antreten will: Hier meine Highlights. Da wäre zunächst der schlichte, aber köstliche Pulposalat. Mit einem Hauch Zitrone, nur einem Klecks Olivenöl und ein bisschen Fenchelgrün hat man hier in Reinform das Prinzip der besten italienischen Küche vor sich: Produkt, Produkt, Produkt! Dann ist da das Vitello Tonnato, das ich für das beste in der Stadt halte. Wer irgendwo anders zarteres Kalb und eine delikatere Thunfisch-Sauce auf dem Teller vorfinden sollte, schreibt mir bitte sofort eine Mail.
Nicht von dieser Welt war kürzlich ein vakuumierter und sieben Stunden bei 60 Grad im Wasserbad gegarter und dann kurz gegrillter Pulpo. Lasst Euch nicht zu viel Zeit, ich glaube, er steht nur auf der Saisonkarte! Im Übrigen habe ich bisher selten Fisch und Meeresgetier wirklich überzeugend aus dem Wasserbad gegessen. Ich finde, Fisch hat dann oftmals einen irgendwie strengen Beigeschmack. Davon kann hier nicht die Rede sein!
Und dann mein Lieblingsteller. Ganz einfach, aber nirgends so unerreicht gut wie hier: Eine Pasta Aglio Olio, Peperoncino und einem Krustentierfond, auf der zwei Gamberoni thronen. Dieser hoch konzentrierte Fond gibt dem ganzen Teller ruckartig eine würzige Erdung: ohne Kompromisse, mit Ecken und Kanten und so, dass man es immer wieder will. Es ist jetzt ein bisschen peinlich, das zuzugeben, aber ich kann das „il Punto“ nicht betreten, ohne dann diese Pasta zu essen. Zumindest in 90 Prozent der Fälle. Wer es probiert hat, wird verstehen, warum. Viel Spaß – und à bientôt!
p.s. Über das „il Punto“ sollte man außerdem wissen, dass es in den 2000er Jahren von Bonn nach Berlin umgezogen ist. An den Wänden finden sich denn auch in teils riesigen schwarz-weiß-Fotos die Größen der Bonner Republik von Adenauer über Brandt bis Joschka Fischer.
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