Würzig und zart: Pulpo für die Seele
Angelo sah eigentlich immer zufrieden aus. Stoppelbart, ein wettergegerbtes, furchiges Fischergesicht, das schon viel ägäische Sonne gesehen hatte und ein strahlendes Lächeln mit fröhlichen braunen Augen. Und immer ein blauer, grob gestrickter Seemannspullover. Es war Frühling 1988 und wir waren die ersten Gäste der Saison auf einer kleinen griechischen Insel. Angelo vermietete nicht nur die einzigen Ferienhäuser am Strand, sondern hatte auch das einzige Strandlokal, machte seinen eigenen Schafskäse, sein eigenes Öl und fischte auch noch für den Eigenbedarf.
Was ich an diesem Strand erlebt habe, war wohl die größte Gastfreundschaft, die man sich vorstellen kann. Angelo las uns jeden Wunsch von den Augen ab. Oft stellte er uns am Nachmittag eine Karaffe Wein, eine Schale Oliven, ein Stück Schafskäse hin, wofür er kein Geld wollte, es sogar ablehnte. Da wir die einzigen Gäste waren, war die Tageskarte oftmals das, was auch Angelo und seine Familie auf dem Teller hatten. Einmal gab es einen würzigen, wunderbaren Pulpo in Rotweinsauce, an den ich seitdem immer denken musste, wenn ich Pulpo kaufte. Denn das war echtes Soulfood, lange bevor dieses Wort in Neu-Deutsch verwendet wurde.
Als ich letztens mit fünf kleinen, superfrischen Tintenfischen in der Einkaufstasche nachhause kam, wollte ich es wissen und diesen Geschmack irgendwie zurückholen. Und das ging so:
(2-3 Personen)
Für das Kochwasser:
2 Lorbeerblätter
3 Pfefferkörner
3 Stängel Petersilie
1 Zweig Thymian
Ein Spritzer Rotweinessig
1 kg Tintenfische
1 Zwiebel, fein gewürfelt
2 Knoblauchzehen, fein gewürfelt
1 Karotte, fein gewürfelt
8 Cocktailtomaten, geviertelt
300 ml passierte Tomaten
1/2 Flasche fruchtiger Rotwein (z.B. Beaujolais oder Nero di Troja)
1 EL Tomatenmark
1 Kaffeetasse Kochwasser von den Tintenfischen
1 Handvoll schwarze Oliven
1 Zweig Thymian
1 Pimentkorn
2 Lorbeerblätter
1 Prise Zimt
Ein Spritzer Rotweinessig
Fleur de Sel
Schwarzer Pfeffer
Piment d’Espelette
200 g Anellini-Pasta (kleine runde sizilianische Nudel-Ringe)
Die Tintenfische werden zunächst vorgegart. Hierfür einen Topf Wasser zum Kochen bringen, die oben genannten Zutaten hineingeben und die Hitze zurückschalten, damit das Wasser nur siedet und nicht mehr kocht. Die Tintenfische nun langsam in den Topf gleiten lassen und 40 Minuten sieden lassen. Dann etwa 30 Minuten im Kochwasser abkühlen lassen. Ich habe noch keinen Pulpo gesehen, den ich mit dieser Methode nicht himmlisch zart hinbekommen hätte. (Weil er so zart bleiben soll, kommt er auch erst ganz spät zur Sauce und wird nicht mehr weitergekocht, sondern nur erwärmt).
Eine Kaffeetasse des sehr aromatischen, vom Pulpo rötlich gefärbten Kochwassers zurückbehalten, den Rest abgießen. Im gleichen Topf entsteht nun die Sauce. Zwiebeln, Knoblauch und Karottenwürfel 15 Minuten bei niedriger Hitze in einer Mischung aus Oliven- und Pflanzenöl sachte anschwitzen. Dann die Tomatenviertel und das Tomatenmark bei höherer Hitze zugeben. Nach 5 Minuten mit dem Rotwein ablöschen, dann kommen Kräuter, Gewürze und passierte Tomaten dazu. Noch ein Spritzer Rotweinessig und das Kochwasser der Tintenfische hinein und 30 Minuten leise ohne Deckel köcheln lassen.
Die Tierchen nun in mundgerechte Stücke schneiden und dabei den Mund mit seinem kleinen Zähnchen entfernen. Es sollten jetzt noch etwa 500 bis 600 Gramm Pulpofleisch übrig sein, denn beim Vorgaren verlieren die Achtfüßler ordentlich Gewicht.
Wenn die Sauce das Ende der Garzeit erreicht hat, wird sie abgeschmeckt und eventuell dezent gebunden. Dann kommen die Tintenfisch-Stücke und die Oliven in die Sauce. Deckel drauf, Hitze abschalten. Nun etwas Pasta kochen, ich habe mich für kleine sizilianische Anellini entschieden. Vor dem Servieren den Saucentopf nochmal sachte erhitzen.
Frau Knauber und meine Mutter reagierten regelrecht enthusiastisch auf den Teller, der da nun duftend vor ihnen stand. Das ist selten. Ich lächelte, schnupperte den Duft und dachte an Angelo an seinem Strand und die blauen Wellen der Ägäis. À bientôt.