Als ich mit zehn Jahren bei den Pfadfindern an einem abendlichen Lagerfeuer erstmals eine kleine Kartoffel auf einen Holzstock aufspießte und sie in der Glut garte, war das ein besonderer Moment. Die außen etwas verkohlte Kruste, ihr intensiver, kartoffeliger, geräucherter Geschmack, die lachenden, essenden Freunde um mich herum und die intensive Wärme unseres knisternden Lagerfeuers unter einem klaren Sternenhimmel – diese Eindrücke kann man nicht vergessen. Man braucht natürlich keine kakifarbene Uniform mit blauem Halstuch und Lederknoten, um das nachzuempfinden. Genauso kann es uns bei einem Teller Seeigel im sonnendurchfluteten Strandrestaurant ergehen oder mit einer zarten Lammkeule an einem nach Lavendel und Kräutern duftenden Abend in der Provence: Die Umgebung, die Gesellschaft am Tisch, die Stimmung oder der Ausblick können ein Essen unvergleichlich machen, relativ unabhängig davon, ob man nun haute cuisine auf dem Teller hat oder ein Butterbrot.
Aber manchmal können sich besondere Orte und besonderes Essen gegenseitig verstärken. Als ich kürzlich das Programm des diesjährigen Gourmetfestivals “Eat Berlin” durchblätterte, stieß ich auf ein ganz besonderes Angebot: eine am Nachmittag startende Tour durch Berlin mit vier Stationen in teilweise Michelin-besternten Restaurants. Überall sollte es einen Gang geben und dazu einen Wein, den der ebenfalls mitreisende Moselwinzer Nik Weis vorstellen würde. Das Besondere: Alle ausgewählten Restaurants befinden sich ganz oben in bekannten Wolkenkratzern der Hauptstadt. Dass über den Wolken nicht nur die Freiheit, sondern auch der Genuss grenzenlos sein könnte – eine verlockende Idee, und ich würde dabei sein!
Die erste Station ist das Waldorf-Astoria, wo in einer eleganten Suite im 30. Stock der Tisch für die nur zehn Teilnehmer umfassende Gruppe dieser denkwürdigen Restaurant-Safari eingedeckt ist. Zum Start ein Kalbstatar, dazu ein knackend frischer Riesling von Nik Weis und ein atemberaubender Blick aus bodentiefen Fenstern über ein sonnenbeschienenes Berlin, das in der Winterkälte klirrt. Der Riesling (Mehringer alte Reben) ist ein perfekter Begleiter für das Tatar, das mit kleinen Kapern, winzigen jungen Erbsen, Schalotten, Frühlingszwiebeln, Radieschen und einem pochierten Wachtelei geschmacklich wundervoll balanciert ist.
Eine Stunde später sitzen wir im Restaurant “Hugos”, ganz oben im Hotel Interconti, einer seit vielen Jahren feinen Adresse in der West-City. Irgendwie kommt man aber doch immer nur selten hierher. Eine Variation von Jakobsmuscheln mit einem Hauch von Lardo und einen Ockfener Bockstein-Riesling später beschließe ich, dass ich hier sehr bald wieder vorbeischaue. Es ist spektakulär, was der sympathische Eberhard Lange und sein Team hier zaubern. Restaurantleiter Manfred Welter ist ein alter Bekannter, er war schon im Saarbrücker “Le Noir” ein wunderbarer Sommelier und Gastgeber. Der Bockstein (großes Gewächs) ist ein Traum-Riesling von der Saar, der Mineralität und elegante Säure mit feinen Zitrusaromen verbindet. Von Nik Weis erfahren wir, dass neben den steilen Schieferformationen auch die Windungen und Schleifen des Flusses hierfür ausschlaggebend sind, weil sich dadurch immer wieder sonnenbeschienene Südlagen für die Reben bieten.
Szenenwechsel. Wir sind im “Golvet”, einem Newcomer der Berliner Sterneküche. Wir sitzen auf Barhockern an einer langen Theke, dahinter die offene Küche. Man sieht das junge Team bei konzentrierter Arbeit in einem Ambiente aus Edelstahl, im Hintergrund liegt der Potsdamer Platz, wo inzwischen die ersten Fassaden in der Abenddämmerung leuchten. Als dann das Rippenstück im Trüffeljus vor uns steht, ist das Glück perfekt, und man versteht schon, dass Küchenchef Björn Swanson bereits im ersten Jahr nach der Eröffnung einen Stern bekommen hat. Gibt’s noch einen Löffel Jus, bitte?
Der Abschluss führt uns tief in den Osten der Stadt. An der Landsberger Allee steht der neue Turm des “Andel” Hotels, und ganz, ganz oben ist das Restaurant “Sky Kitchen”. Schon nach wenigen Jahren ist dieser Laden eine kleine Legende in Berlin. Betonung auf klein, denn das Restaurant hat nur wenige Tische und ist teilweise wochen- und monatelang im Voraus ausgebucht. Zu Recht. Zum köstlichen Piesporter Goldtröpfchen gibt es eine Kürbisvariation mit einem sahnigen Curry-Eis. Hier würden wir jetzt gerne bleiben. So gerne. Aber leider ist unsere genussreiche Safari hier zu Ende. Während wir noch auf einen weiteren Schluck vom Goldtröpfchen hoffen, erstrahlt zwischen den Lichtern der Stadt und den weit unten wimmelnden Rücklichtern der Autos auf den Magistralen der Fernsehturm.
Leider gibt es die “Eat Berlin” nur ein Mal im Jahr, so dass Erlebnisse wie diese Tour über den Dächern etwas Besonderes bleiben. Zu Recht bejubelt übrigens die “Neue Züricher Zeitung” dieses Festival und seinen Impressario Bernhard Moser. Festivals aus aller Welt könnten sich von der “Eat Berlin” mehr als eine Scheibe abschneiden, ist da zu lesen. Ist auch so. Zum Artikel
Ein langer Tag voller kulinarischer Überraschungen ist vorbei, und viele Eindrücke werden bleiben. Ob der weite Blick über den Tiergarten, die mondänen Restaurants und die fröhliche Stimmung an der langen Tafel den Genuss gesteigert haben? Ganz bestimmt. Es war irgendwie fast wie bei den Pfadfindern! À bientôt!
p.s.: Die wundervollen Weine von Nik Weis findet man hier: http://www.urbans-hof.de