Über Kulinarik und Kunstgeschichte
Wenn Frau Knauber und ich in Venedig sind, ziehen wir durch die Gassen und genießen den wunderbaren Overkill an Kunst, der sich hinter den hohen, massiven Türen der Kirchen und Kunstmuseen ausbreitet. Skulpturen, Mosaike und – Gemälde. Der Vorteil, mit einer Kunsthistorikerin verheiratet zu sein: Man schaut nicht nur auf ein Gemälde. Es wird erklärt und eingeordnet. Da schließt sich so manche Wissenslücke. Als wir bei einem unserer ersten Venedig-Trips vor einem figurenreichen Bild standen, murmelte Frau Knauber: „Ein Carpaccio. Wunderbar.“ Carpaccio? Kannte ich bis dahin nur als einen delikaten Teller mit hauchdünnen Scheiben vom Rinderfilet, mariniert, mit würzigen Parmesanspänen bestreut. Und an der Wand hing stattdessen der Heiland in einem tiefroten Umhang.
Google schloss die Lücke zwischen Kulinarik und Kunstgeschichte. Tatsächlich hatten die kräftigen Rottöne in vielen Werken von Vittore Carpaccio (1465-1526) einen anderen Venezianer, Arrigo Cipriani, im Jahr 1950 zur Namensgebung für sein köstliches Gericht inspiriert. Der erfinderische Aufschneider machte damit ein Vermögen. Vom Klassiker mit Rindfleisch hat sich diese Zubereitung infolge ihrer globalen Ausbreitung inzwischen gelöst. „Carpaccio“ steht inzwischen für alles, was hauchdünn roh aufgeschnitten und mariniert gereicht wird. Von Champignons über Lachs bis hin zu Gemüse. Oder auch Jakobsmuscheln. Als ich letztens besonders schöne und frische ausgelöste Exemplare bei meinem Fischhändler sah, fiel mir folgendes Carpaccio von der Jakobsmuschel mit Orangensenf-Dressing und frischer Minze ein:
(4 Personen)
10-12 Jakobsmuscheln, ausgelöst
2 Zweige kleinblättrige, frische Minze, Blätter abgezupft
Marinade:
6 EL Olivenöl (das beste, das Ihr im Schrank habt!)
1 EL Sirup vom weißen Balsamico
1 TL Orangensenf-Sauce (Konsistenz ähnlich wie Feigensenf)
Weißer Pfeffer (Mélange Blanc von Ingo Holland)
Fleur de Sel
Zuerst aus den obigen Zutaten eine Marinade herstellen. Die genaue Zusammensetzung kann variieren. Das Ergebnis sollte weder zu sauer werden, noch zu vordergründig nach Orange schmecken. Probiert es selber. In jedem Fall die Marinade mit einem kleinen Schneebesen gut durchmischen und kaltstellen.
Jetzt zum schärfsten Messer mit dünner Klinge greifen. Die Jakobsmuscheln in dünne, runde Scheibchen schneiden und auf gekühlten Tellern anrichten. Die Marinade nochmal gut durchmischen und sparsam auf den Muschelscheiben verteilen. Zuletzt mit den Minzblättchen dekorieren, nochmal mit etwas Olivenöl beträufeln und schnell servieren, damit dieses wundervolle Carpaccio kühl und frisch auf dem Tisch steht.
Das rohe, marinierte Muschelfleisch mit seinem leicht nussigen Geschmack trifft auf die zarte und dabei hochspannende Mischung aus Olivenöl mit einem Hauch von Orange und Minze. Das perfekte Entrée für ein sommerliches Essen. Dazu passt ein frischer Sauvignon Blanc, gern aus dem Veneto. Ach, Frau Knauber, wir müssen unbedingt mal wieder nach Venedig. À bientôt.
p.s.: Viele Werke des großen Carpaccio hängen in der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni in Venedig. Die Urversion des Carpaccios wird nach wie vor in „Harrys Bar“ ein paar Ecken westlich des Markusplatzes serviert und ist – bei aller Wertschätzung der Kunstgeschichte – alleine schon die Reise wert.