Signor Rossi sucht das Glück
Eigentlich begann es völlig harmlos. Ein niedlicher roter Kater mit etwas zerfleddertem rechtem Ohr spazierte über die benachbarten Dächer unserer italienischen Ferienwohnung. Frau Knauber war sogleich entzückt und der Streuner bekam einen Namen: Signor Rossi. Mal sahen wir ihn tagelang nicht, dann wieder entdeckten wir ihn auf einer Nachbarterrasse und freuten uns, dass er immer wieder auftauchte, wie ein kleiner Talisman.
Eines Tages und einige Urlaube später bemerkte ich im Vorratsschrank eine Tüte Katzenfutter. „Nein, Ich will ihn nicht anlocken, er ist nur so niedlich und ich will ihm ab und zu eine Freude machen“, verteidigte sich Frau Knauber wortreich.
Dann verbrachte Frau Knauber einmal eine Woche ohne mich im Süden, mit ihrer besten Freundin. Als ich dann anreiste und meinen Kabinenkoffer hinter mir herziehend der Wohnungstür zustrebte, sah ich auf einem Mäuerchen über den Geranien eines meiner Glasschälchen, in denen ich gewöhnlich die Zutaten fürs Kochen bereitstelle. Darin befand sich Wasser, daneben stand ein kleiner Futternapf mit etwas Schinken. Viel Fantasie brauchte ich nicht, um mir dieses Arrangement zu erklären. „Wenn der Schinken ein paar Tage alt ist, magst Du ihn ja sowieso nicht mehr“, bemerkte Frau Knauber auf meine Fragen nach der veränderten häuslichen Situation mit Kater. Wir haben nun also, einige Wochen im Jahr, einen Hausgast.
Rasch war es so weit, dass ich beim Einkaufen ermutigt wurde, nicht zu wenig Kochschinken zu kaufen. „Und die Mortadella bitte ohne Pistazien – und gerne etwas mehr“. Seit fast 15 Jahren wurde ich sonst immer freundlich-bestimmt motiviert, nicht zu viel Aufschnitt mitzubringen. Dinge können sich ändern.
Inzwischen ist es so, dass Signor Rossi am späten Vormittag und am frühen Abend plötzlich auf einem Vordach in der Nähe seines Napfes liegt, alle Viere gemütlich von sich gestreckt, in die Abendsonne blinzelt und ganz selbstverständlich darauf wartet, dass sich einer seiner beiden Futtermeister am Eingang zeigt. Dann setzt er sich kerzengerade mit forderndem Blick auf. Was auch immer wir gerade tun wollten: das Haus für einen Restaurantbesuch verlassen, Wäsche aufhängen oder einfach nur einen Aperitif auf der Terrasse trinken, es wird sofort zurückgestellt.
„Schnell, hol das Futter“, ruft mir Frau Knauber dann gehetzt zu. Denn wenn wir nicht schnell genug durch das Esszimmer in die Küche zum Kühlschrank rennen, um sein Abendessen zu bringen, schlägt Signor Rossi ein zutiefst klägliches Miauen an. Dafür wird er sicher eines Tages einen Oscar für den bemitleidenswertesten kleinen Kater aller Zeiten erhalten. Ich sehe ihn schon schnurrend auf der Bühne sitzen, daneben Julia Roberts, die die Laudatio halten wird.
Signor Rossi ist also nun der Herr im Haus. Ich habe mich also mit meiner Nebenrolle abgefunden. Mit dem Herrn im Haus sollte man sich gut stellen. Ich werde also vorschlagen, dass Signor Rossi nur noch von unserem Hochzeitsgeschirr mit Platinrand bedient wird. Die Thunfischragouts und Kalbfleisch-Polpette könnte ich zukünftig auch selber für ihn zubereiten. Und warum nicht zu Weihnachten auch mal Gänseleberpaté aus Frankreich bestellen? Natürlich für ihn, nicht für uns.
Ich begnüge mich stattdessen mit den frischen Gamberoni, die man an der Adria sagenhaft günstig für 12 Euro das Kilo bekommt. Und wenn auch wir mal lecker essen wollen, dann mache ich damit folgendes:
(für 2 Personen, als Zwischengericht)
20 frische, ungekochte Gamberoni (größere Garnelen)
1 kleines Bund Petersilie, fein gehackt
2 Zehen Knoblauch, fein gewürfelt
6 EL Semmelbrösel
Zesten einer halben Zitrone, grob gehackt
Fleur de Sel
Weißer Pfeffer
1EL Chili-Öl
Olivenöl
Zuerst werden die Gamberoni geschält. Dazu bricht man den Panzer hinter dem Kopf von der Bauchseite her auf und löst ihn Segment für Segment ab. Mit einem scharfen Messer macht man dann einen Schnitt über den Rücken und zieht den Darm heraus. Das dauert etwas und ist viel Gefummel. Aber nach dem zehnen Exemplar geht es dann wie von selbst.
Semmelbrösel, Knoblauch, Zitronenzesten und Petersilie mischt man mit Öl zu einer streichfähigen Paste. Dezent salzen, pfeffern und vielleicht einen Spritzer Chili-Öl dazugeben.
Nun den Backofen auf 250 Grad (Umluft) vorheizen. Während des Vorheizens die Gamberoni in einer mit Olivenöl ausgeriebenen Schale auf einigen Zitronenscheiben (eine halbe Zitrone sollte für Zitronensaft übrigbleiben) anrichten und die leckeren Krustentiere mittig mit der Petersilienpaste bestreichen. Dann die Temperatur im Backofen abschalten, die Grillstufe aktivieren und die Schale mindestens zehn Zentimeter unter dem Grill im Ofen platzieren. Nach 10-12 Minuten sind die Gamberoni gar und aus der Paste ist eine wunderbare Kruste geworden, deren Duft sogar Signor Rossi anlocken würde, obwohl er ja inzwischen besseres gewohnt ist. Jetzt auf jeden Fall noch mit Zitronensaft beträufeln und schnell mit etwas Baguette, Pardon, Panini (wir sind ja in Italien!), servieren. Dazu passt ein Rosé „Tra Mari“ oder „Five Roses“.
Ich garantiere, dass in dieser Schale nichts übrigbleibt. Und wenn doch? Und wenn ich dann vorschlagen würde, die Reste Signor Rossi zu geben? Ich höre schon Frau Knauber: „Auf keinen Fall, das ist viel zu scharf für ihn. Iss das doch bitte noch auf, Schatz.“
p.s.: Habe ich schon erwähnt, dass unsere Nachbarin Apollonia einen Singvogel hat? Sein munteres Zirpen verstummt plötzlich, wenn sich Signor Rossi neugierig dem Käfig nähert, den Apollonia wohlweislich in sicherer Höhe aufgehängt hat. Ich bin sicher: Fortsetzung folgt.