Morcheln, galaktisch gut!
Es ist Frühling, und wir sitzen hier fest. In Berlin, Saarbrücken, München, Hamburg oder Posemuckel. Wenn ich spitze Ohren hätte und einen roten Pullunder trüge, sähe das zwar etwas merkwürdig aus. Aber dann wäre ich immerhin Commander eines Raumschiffs im 23. Jahrhundert und könnte mich jetzt weit weg beamen lassen. Dahin, wo der Frühling besonders schön ist …
Wenn im Frühling in der Provence ein warmer Regen niedergegangen ist und man das Glück hat, in den Auwäldern der Durance oder der Rhone spazieren zu gehen, sollte man genau hinsehen. Auf den Waldboden. Denn zwischen Eichen und Buchen sprießt dann die Morchel. Sie ist im Süden neben jungen Erbsen und dem Spargel einer der köstlichsten Frühjahrsboten. Wegen ihrer Geschmacksfülle gibt sie auf dem Teller, oft in sahnigen Saucen und zu hellem Fleisch, den Ton an. Und dieser Ton ist so köstlich, dass ich die Morchel immer öfter dem Trüffel vorziehe. In diesem Jahr hat sie mir sogar das Ostermenü gerettet. Natürlich stand Lamm auf dem Plan. Bei Karstadt gab es aber, am Donnerstag vor Ostern, weder Filet noch Rücken, auch keine Keulen, Schultern oder Karrees zu kaufen. Eine Lieferung war nicht eingetroffen. In der Vitrine lag aber ein schönes Kalbsfilet. Meine Synapsen, schnell wie der Bordcomputer der Enterprise, kombinierten sofort Morcheln und Spargel dazu. Es wurde galaktisch lecker:
(Für zwei Personen)
500 g Kalbsfilet aus dem Mittelstück (das gart gleichmäßiger als zum Beispiel die Filetspitze)
250 ml Kalbsfond
40 ml Madeira
150 ml Sahne
40 g getrocknete Morcheln
1 Schalotte, fein gewürfelt
3 EL gehackte Petersilie
Salz (Fleur de Sel)
Weißer Pfeffer (Mélange Blanc von Ingo Holland)
1 Stich Butter (30 g)
10 Stangen bester Spargel
80 g Butter, halbgesalzen
Eine Prise Zucker
Eine Prise Salz
Ein Zweig frischer Estragon, Blätter abgezupft
Zuerst werden die Morcheln 45 Minuten in lauwarmem Wasser eingeweicht. Währenddessen den Spargel schälen, in eine Auflaufform legen, mit Zucker, Salz und Estragon bestreuen und dann scheibchenweise die Butter auf dem Spargel verteilen. Die Auflaufform mit Alufolie dicht abdecken und das Ganze für 45 Minuten in den auf 220 Grad vorgeheizten Backofen setzen. Seit wir Spargel auf diese Weise zubereiten, wollen wir ihn nicht mehr anders. Er ist derartig spargelig-intensiv, wie man es mit kochendem Wasser niemals hinbekommt. Über den Einsatz des Estragons gibt es zwischen Frau Knauber und mir allerdings Differenzen. Meistens verzichte ich deshalb darauf, möchte es Euch aber gerne empfehlen. Sie wird es ja erst merken, wenn es zu spät ist.
Jetzt ist es Zeit für ein Glas Weißwein in der Küche. Bei mir gab es einen 2018er Weißburgunder von Van Volxem aus Wiltingen an der Saar. Fast wie Beamen: Wenn man einen Schluck trinkt und die Augen schließt, kann man fast die blühenden Obstbäume in der welligen Landschaft an der unteren Saar sehen. So. Und jetzt wieder zurück an den Herd!
Das Kalbsfilet salzen, pfeffern und nicht zu scharf rundum zwei bis drei Minuten anbraten. Mit einem Temperaturfühler versehen in einer Schale zum Spargel in den Backofen setzen. Das Filet bleibt dort bis zu einer Kerntemperatur von 60 Grad. Nach zehn Minuten einmal wenden, damit der Fleischsaft sich gleichmäßig verteilt und nicht später beim Anschneiden herausläuft. Spargel und Filet sollen gleichzeitig fertig sein.
Nun die Morcheln abgießen (und die Flüssigkeit auffangen!), noch einmal gründlich unter fließendem Wasser abspülen, damit kein Sand ins Getriebe kommt, und die Pilze dann ebenso gründlich mit Küchenkrepp trockentupfen. Dann geben wir einen ordentlichen Stich Butter in die Pfanne und braten unsere Morcheln bei mittlerer Hitze ganz sanft an. Jetzt kommen auch die Schalottenwürfel und die Petersilie hinzu. Währenddessen in einer Kasserolle das Einweichwasser der Morcheln auf die Menge einer Espressotasse herunterkochen. Zur Sicherheit durch einen Teefilter laufen lassen, um auch hier eventuell vorhandenen Sand von unserem Festessen fernzuhalten. Dieser konzentrierte Morchelsud gibt der Sauce später eine ungeahnte zusätzliche Dimension. Der Wein zum Essen kann jetzt schon mal geöffnet werden. Zur Feier des Tages gibt es einen 2016er Saint Joseph „Offerus“ von Jean Louis Chave.
Die Morcheln sollten jetzt rundum in der Butter zart gebräunt sein und köstlich duften. Mit dem Madeira ablöschen und ein wenig einkochen lassen. Dann den Kalbsfond angießen und auf die Hälfte einkochen lassen. Ein Drittel der Sahne angießen und etwas einkochen lassen. Jetzt den konzentrierten Morchelsud dazugeben, ebenso die restliche Sahne und erneut etwas einkochen lassen. Mit Salz und weißem Pfeffer abschmecken. Fertig. Als Frau Knauber zum ersten Mal die Morchelsauce probiert, hebt sie eine Augenbraue an und murmelt: „Faszinierend!“. Aber zum Glück hat sie keine spitzen Ohren. À bientôt!