Löwenzahn – alles andere ist Salat!
Wenn er blüht, ist es zu spät. Dann wird er bitter. Und dann sind die gelben Blüten des Löwenzahns immerhin ein schöner Frühlingsgruß, aber für einen Salat taugt er jetzt nicht mehr. Ich kann mich noch gut erinnern, in den frühen 70ern mit meinem Vater die Frühlingswiesen durchstreift zu haben, jeder ein kleines Messer in der einen Hand, in der anderen eine Tüte. Löwenzahn stechen. Mag der stets etwas bittere Korbblütler in den meisten Teilen des deutschsprachigen Raums als Unkraut, bestenfalls als Kaninchenfutter gelten, in meiner saarländischen Heimat ist er ebenso populär wie in Frankreich. Sogar so sehr, dass er auch professionell angebaut wird. Mit schwarzen Planen abgedeckt, behalten die langen, gezackten Blätter ihre gelbe bis hellgrüne Farbe, entwickeln weniger Bitterstoffe und sind eine echte saisonale Delikatesse.
“Löwenzahn! Alles andere ist Salat!”, schrieb mir kürzlich voller Inbrunst meine alte Freundin Inge, die es aus dem Saarland in den hohen Norden verschlagen hat. Und tatsächlich wird der gelbe Löwenzahn, aufgerüstet mit mild geräuchertem Speck, Kartoffelwürfeln und gedünsteten Zwiebeln, zu einer richtigen Mahlzeit, auf die sich viele, die es schon einmal versucht haben, ebenso sehr freuen wie auf den Spargel. Pisse-en-Lit nennen ihn die Franzosen. Man ahnt, was es bedeuten soll und was in Südwestdeutschland mit “Bettseicher” weniger wohlklingend, aber ähnlich deutlich beschrieben wird. Neben dieser entwässernden Wirkung und allerlei anderen positiven gesundheitlichen Wirkungen war das Pflänzlein in der Nachkriegszeit auch als Grundstoff für Kaffee-Ersatz und während des Krieges gar zur Herstellung von künstlichem Gummi in Anwendung. Was für eine Verschwendung. Heute essen wir ihn!
Und zwar so, wie meine Mutter gelben Löwenzahn zubereitet und wie sie es einst von ihrer Schwiegermutter gelernt hat, damit mein Vater, mit vollen Löwenzahn-Tüten in der einen und mit mir an der anderen Hand, auch mit dem bitter-pikanten Genuss belohnt werden konnte, den er sich mit dem Messerchen und meiner bescheidenen Hilfe so heldenhaft erkämpft hatte. Und das geht so:
(2-4 Personen, je nach dem Grad der Leidenschaft für “Bettseicher”)
500 Gramm Löwenzahn, am liebsten der gelbe
1 mittelgroße Zwiebel, nicht zu fein gewürfelt
1 Zehe Knoblauch, feingehackt
1 Esslöffel Senf
Salz, weißer Pfeffer
Milder Essig, am liebsten “Melfor”, notfalls weißer Balsamico
Neutrales Pflanzenöl
1-2 Eier (Anzahl ist Geschmackssache!), gekocht, gewürfelt
2 Kartoffeln, gekocht, gewürfelt
150 Gramm leicht geräucherter, magerer Speck
Den Löwenzahn gründlich waschen und trockenschleudern. Oberhalb der Wurzel abschneiden, verlesen und mit einer Schere in 2 bis 3 cm lange, mundgerechte Stücke schneiden, beiseite stellen. In einer Pfanne den Speck knusprig anrösten, etwas Öl hinzugeben und dann bei mittlerer Hitze die Zwiebelwürfel hineingeben, glasig werden lassen. Gern können jetzt auch die Kartoffelwürfel hinzukommen, damit sie ebenfalls erwärmt werden. Zuletzt kommt für die letzte Minute auch der Knoblauch hinzu. Dann wird alles mit einem Schuss Essig abgelöscht.
Während dieser Brutzelei ein Dressing aus Essig, Öl, Senf, Salz und Pfeffer anrühren. Jetzt darf auch bei meiner Mutter gern ein Spritzer Maggi dazu! Den Salat im Dressing wenden und unbedingt einige Minuten stehen lassen. Zuletzt den warmen Inhalt der Pfanne zum Salat geben, alles nochmal gründlich unterheben und mit den gewürfelten Eiern überstreuen. Der leicht bittere Löwenzahn wird jetzt mit dem würzigen Speck, dem milden Essig und den Kartoffelwürfeln eine köstliche Verbindung eingehen und Ihr werdet wie ich ein wenig traurig sein, wenn die Schüssel leer ist. Auch die Saison ist fast vorbei. Also ab auf den Markt. Oder schnappt Euch ein Messer und eine Tüte! À bientôt!
p.s.: Natürlich gibt es Varianten. Manche geben noch einen Schuss Sahne zum Dressing, worüber andere die Nase rümpfen. Wiederum andere rühren das gekochte Eigelb ins Dressing ein, um diesem eine dichtere, cremigere Konsistenz zu geben. Kann man alles probieren. Meine Mutter muss es ja nicht unbedingt erfahren.
Wer mehr über Löwenzahn wissen will, findet das zum Beispiel hier: http://www.faust-gartenbau.de/loewenzahn.php
“Melfor”-Essig, ein Mischung aus Essig, Honig und Pflanzenextrakten gibt es im Saarland und angrenzenden Regionen für kleines Geld in jedem Supermarkt. Alle anderen finden ihn in französischen Feinkostläden oder zum Beispiel hier:https://www.le-gourmet24.de/feinkost/essig-oel-dressing/essig/191/melfor-original-wuerzessig-aus-dem-elsass-1-liter?gclid=CK7jlfGBr9MCFUsW0wod7OcBUg