Brust oder Keule?
Früher war die Welt irgendwie übersichtlicher, denn es konnte immer nur Einen geben. Das war nicht nur unter Highlandern so üblich, sondern galt eigentlich auch für viele andere wichtige Grundfragen des Lebens: Beatles oder Stones? Pelikan oder Geha? Adidas oder Puma? Apple oder Microsoft? Björn Borg oder McEnroe? Pepsi oder Coke? – um mal einige der ganz zentralen Identitätstkonflikte aus meiner Jugend zu beschreiben. In die Welt der ganz großen 3-Sterne-Küche übersetzt, hieß das einst: Paul Bocuse oder Georges Blanc? Hier der weltweit aktive Lebemann mit mehreren Frauen, vor den Toren des pulsierenden Lyon, dort der bodenständige Familienmensch in der malerischen Seenlandschaft der Dombes. Man könnte sagen, Georges Blanc hat gewonnen, denn er ist immer noch hoch dekoriert hinterm irdischen Herd, während der große Bocuse nun wohl als Chefkoch in himmlischen Sphären tätig ist. Vielleicht.
Der Name von Georges Blanc ist untrennbar verbunden mit dem Geflügel aus der Region Bresse, der Meister ist sogar der Markenbotschafter für die Vorzeige-Hühner mit den blauen Füßen, die dazu noch mit ihrem weißen Gefieder und dem roten Kamm nicht nur die Farben der Trikolore tragen, sondern auch so etwas wie das inoffizielle französische Wappentier sind. Wer einmal Bressehuhn gegessen hat, wird sofort den Unterschied bemerkt haben: Im intensiv-huhnigen Geschmack, in der muskulösen Konsistenz des Fleisches, im Aussehen und natürlich auch im Preis. Und an die Qualität dieser französischen Edelhühner kommt immer noch keine deutsche Geflügelzucht heran, und sei sie noch so bio.
Eines Tages durfte ich mit meinem Freund Jens bei Georges Blanc zu Mittag essen. Wenn man weiß, dass hier schon Romy Schneider, Charles de Gaulle, Liz Taylor und Richard Burton gespeist haben, wird man doch etwas ehrfürchtig. Ein edles Stück vom Bressehuhn war an diesem besonderen Tag unser köstliches Pflichtprogramm. Und das gilt heute auch für Euch, denn wir machen ein klassisches Poulet à la Crème, ein Sonntagshühnchen nach einem Rezept von Georges Blanc. Der Einfachheit halber bleiben wir bei Schenkeln statt des ganzen Flattermannes – und statt Bresse können wir notfalls (!) auch erstklassige Label Rouge-Schenkel von glücklichen Freiland-Maishühnern aus der Bougogne nehmen.
(Für zwei Personen)
4 Hähnchenschenkel vom Maishuhn (Bresse oder Label-Rouge-Qualität), gesalzen und gepfeffert (weißer Pfeffer!)
1 kleine Zwiebel, geschält und mit 10 Nelken gespickt
1 kleine Zwiebel, grob gewürfelt
1 kleine Knolle Knoblauch, halbiert (wir verwenden nur eine Hälfte hierfür)
250 g Champignons, geviertelt
2 EL Mehl
0,2 l Weißwein, am besten Chardonnay
1/2 l Sahne
700 ml Geflügelfond, auf die Hälfte eingekocht
einige Zweige Estragon, feingehackt
100 g gesalzene Butter
Zunächst die Butter in einem großen Gusstopf bei mittlerer Hitze schmelzen lassen. Nun die Keulen mit der Hautseite einlegen und bei noch etwas höherer Temperatur gut 10 Minuten sanft anbraten, bis sie goldgelb sind. Notfalls noch 5 Minuten zugeben. Dann wenden und nochmal 5 Minuten auf der anderen Seite anbraten. Dieses Anbraten ist eine kleine Geduldsprobe: Die Butter darf nicht verbrennen, wir wollen aber eine knusprige, goldgelbe Haut erreichen, also dauert das Ganze eben ein wenig.
Die Schenkel heben wir jetzt heraus und geben die gehackten Zwiebeln und den Knoblauch dazu. Nach 3 bis 4 Minuten überstreuen wir das Ganze mit dem Mehl. Die Mehl-Butter-Mischung wird nun etwas schaumig und nimmt etwas Farbe an. Jetzt kommen die Champignonviertel dazu und wir lassen sie ein, zwei Minuten mitbrutzeln. Ablöschen mit dem Wein, die Schenkel wieder in den Topf geben und mit Fond und Sahne begießen, bis alles bedeckt ist. Die gespickte Zwiebel nicht vergessen. Mit halb aufgelegtem Deckel ein Stündchen köcheln lassen.
Nun nehmen wir die zarten Keulen aus der Sauce und stellen sie bei 80 Grad im Backofen warm. Die Zwiebel und die halbe Knoblauchknolle herausfischen und die Sahnesauce um ein Viertel einkochen lassen. Jetzt abschmecken und den Estragon dazugeben. Und dann kommt dieses Sonntagshuhn auf den Tisch! Nicht auf edlem Porzellan wie bei Georges Blanc, sondern im Topf! Dazu passt ein schöner Roussanne-Marsanne Weißwein von der Rhone. Oder ein duftiger Viognier.
Übrigens war die Welt früher doch nicht so übersichtlich. Es gibt nämlich gar keinen Highlander. Und statt Beatles und Stones hörte ich Elvis. Ich hatte einen Geha, hätte aber insgeheim lieber einen Pelikanfüller gehabt. Und als ich nach zufriedenen Jahren mit Adidas Mitte der 80er ein paar Puma Universal bekam, wusste ich erst, was ich bis dahin verpasst hatte. Das fand ich damals alles recht kompliziert und uneindeutig. Heute nennt man das wahrscheinlich Diversity. À bientôt!
p.s.: Wer in der Gegend von Lyon oder Macon unterwegs ist, sollte nach Vonnas fahren. Georges Blanc ist einen Umweg wert. Auch einen größeren. Und wer sich mit klassischen Lebensfragen wie „Dallas oder Denver Clan?“, „Derrick oder Tatort“ oder „Eduscho oder Tschibo“ intensiver beschäftigen möchte, dem empfehle ich das lustige Büchlein „Rivalen, die es (so) nicht mehr gibt“ von Gregor Hoppe aus dem Prestel-Verlag.
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