Alte Ängste, neue Freuden
Zu Rohkost habe ich ein sehr zweischneidiges Verhältnis. Besser gesagt ein eindeutiges: Ich mag sie nicht, milde ausgedrückt. Das hat sicher sehr viel mit den (nicht näher zu benennenden) Verwandten zu tun, die in meiner Kindheit immer sehr penetrant den Verzehr von Rohkost propagiert haben. Böse gesagt: Auch sonst hat es dort eher selten geschmeckt, und noch seltener konnte man dort satt werden.
Ab dem Alter, in dem einem das nachgesehen wird, hatte ich deshalb immer was anderes vor, wenn es dorthin zu Besuch ging. Zum Beispiel Fahrten ins nahe Frankreich mit guten Freunden. „Was sind denn Crudités?“, fragte ich dann, noch etwas ungeübt, beim Studium der Speisekarte irgendwo im Elsass einen erfahrenen Mitreisenden. Der zog säuerlich das Gesicht zusammen und meinte, das sei der französische Begriff für Rohkost. Ich klappte die Karte zu und lernte dann alternativ die zarte Entenleber und die würzigen Weinbergschnecken kennen. Und Rohkost war Vergangenheit, tief vergraben im untersten Gewölbe meines kulinarischen Gedächtnisses.
Letztens war mal wieder Kochsession mit meinem Freund Matzi, was immer ein Highlight des Monats ist. Wir kochen dann stundenlang vor uns hin, setzen uns in der Schürze an den Tisch, essen, ziehen einen Wein auf und kochen dann wieder weiter, bis der Arzt kommt. Oder Frau Knauber. Während dieses Prozederes zog Matzi plötzlich mit glänzenden Augen eine Tüte aus dem Rucksack und meinte freudig, er hätte da noch was vorbereitet, um mich zu überraschen: „Toll als Zwischengang, mit knackiger Rohkost“. „Super!“, erwiderte ich tonlos, während der Unterkiefer zu einem mechanischen Lächeln einrastete.
Matzi hat mich dann tatsächlich extrem überrascht damit, und zwar so:
(Für 4 Personen, als Zwischengericht)
Für das Dressing:
Saft von ½ Zitrone
1 EL Apfelessig (notfalls auch Weißweinessig)
4 EL Olivenöl
eine gute Prise Quatre Épices (französische Gewürzmischung aus weißem Pfeffer, Muskat, Gewürznelken und Zimt)
etwas mittelscharfes Piment d’ Espelette
1 Schalotte, fein gewürfelt
Fleur de Sel
1 Prise weißer Pfeffer
Für die Rohkost:
1 Apfel
1 Knolle (rohe) Rote Bete, geschält
1 Möhre, geschält
5 Stängel Petersilie, grob gehackt
1 Makrelenfilet, geräuchert
Den Apfel in kleine Würfel schneiden. Rote Bete und Möhre schälen und raspeln. Das Makrelenfilet in dünne Scheiben schneiden und mit der Rohkost, der Petersilie und dem Dressing vermischen. Vor dem Servieren sollte das Dressing eine halbe Stunde auf das Gemüse einwirken können. Diese Rohkost, aufgerüstet mit Makrele, war durch ihre Frische, die subtile Kombination von Zitrone und Apfelessig und den markanten Akzent des Räucherfisches tatsächlich ein Leckerschmecker. Und ein gutes Beispiel dafür, dass man, statt alte Ängste zu pflegen, auch unerwartete neue Freude finden kann. Wenn man sich traut. À bientôt!