Bratwurst am Berg Sinai
Was wäre wohl aus den Weltreligionen geworden, wenn Moses alle paar Monate auf den Berg Sinai geklettert wäre, um sich von Gott ein Update der zehn Gebote zu holen? Man kann wohl vermuten, dass den ersten Gläubigen an der unbedingten Gültigkeit dieser Regeln erhebliche Zweifel gekommen wären. So ähnlich ist es mit den Regeln, die die Ernährungswissenschaft uns immer wieder serviert, um sie kurz danach völlig zu revidieren. Ich kann zum Beispiel gar nicht mehr zählen, wie oft Cholesterin, also Fett, in den letzten Jahren zwischen Gut und Böse hin- und her oszilliert ist.
Nun hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre (ebenfalls zehn!) Regeln für eine gesunde Ernährung zum ersten Mal seit vielen Jahren überarbeitet. Und siehe da: das Fett ist nicht mehr der Satan, von seinem Verzehr wird nicht mehr explizit abgeraten. Tatsächlich gibt es nach Jahrzehnten des light-Wahns von Joghurt bis Wurst nun ernsthafte wissenschaftliche Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass sogar ein positiver Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Fett und einer längeren Lebenserwartung besteht. Das hat laut Blätterwald die Auswertung der Gesundheitsdaten von 150.000 Patienten in einer amerikanischen Langzeitstudie ergeben. Da wird so ziemlich alles ad absurdum geführt, was man in den letzten 40 Jahren in den bunten Heftchen der Krankenkassen lesen konnte: Nicht mal gesättigte Fettsäuren aus Fleisch und Wurst beeinträchtigen demnach die Lebenserwartung.
Ganz so weit wollte man denn bei der DGE nicht gleich gehen, aber statt Fett hat sie nun mit Kohlehydraten einen neuen Bösewicht entdeckt. Dabei wurden diese bislang in der klassischen DGE-Pyramide in Form von Kartoffeln, Getreide und Hülsenfrüchten stets als gesundes Fundament der Ernährung gepriesen. Rolle rückwärts. Eben ganz im Low-Carb-Trend der Zeit. Was ist von diesem Update der zehn Ernährungs-Gebote nun zu halten? Da ich kein Arzt bin, weiß ich es nicht. Als Verbraucher kommen bei mir aber schon Zweifel an der Gültigkeit solcher Regeln auf, wenn heute das völlige Gegenteil von dem gilt, was gestern noch richtig war. Offenbar unterliegen auch wissenschaftlich untermauerte Empfehlungen dem Zeitgeist und seinen Moden und Strömungen viel stärker, als wir denken.
Mich erinnert das an eine Geschichte, die mir vor ein paar Jahren eine in Berlin lebende, junge schwangere Frau erzählte. Sie hatte von Familie und Freunden in den USA, in Frankreich und Deutschland insgesamt drei Schwangerschaftsbücher geschenkt bekommen. Das amerikanische Buch verbot ihr so ziemlich alles, passend zur jenseits des Atlantik weit verbreiteten, bigotten Abneigung gegen alles, was Spaß macht. Im französischen Buch war dagegen sogar Käse erlaubt, ab und an auch ein halbes Glas Wein! Im deutschen Buch hingegen lag der Schwerpunkt lustigerweise darauf, dass alles, was die werdende Mutter zu sich nimmt, tunlichst absolut bio sein möge. Schöner kann man Sinn und Unsinn solcher Regeln kaum zusammenfassen. Um ihre Widersprüche und absoluten Beliebigkeiten zu sehen, muss man nicht mal auf den Berg Sinai klettern. Darauf eine Bratwurst. Heute mal ohne Pommes. Bei Glaubensfragen weiß man ja nie. À bientôt!
p.s.: Zum Foto: Die Chili-Bratwurst bei “Curry 61” in der Oranienburger Straße ist ziemlich perfekt, toll ist auch die Currywurst. Und wenn die Jungs am Grill so richtig gut drauf sind, hagelt es dazu Berliner Schnauze, dass es kracht!
http://www.curry61.de