Der Regen peitscht ans Fenster, die Sonne ist schon ein paar Tage nicht mehr zu sehen. Frühlingsanfang in Berlin halt. Ein prima Zeitpunkt, um sich mit Rosé zu beschäftigen. Gestern ist die Kiste gekommen. Die Kiste, das ist die Folge einer Versuchung, der ich vorletztes Wochenende erlag. Und das kam so: Ich hatte bei heftigem Wind und reichlich Sonne die Terrasse vom Winter befreit, also Luftpolsterfolie und Kokosmatten von Töpfen entfernt, ein bisschen gedüngt und Pflanzen zurückgeschnitten. Dann saß ich nach getaner Arbeit entspannt in meinem soeben ausgepackten Gartensessel und bemerkte einem Vogelschwarm, der über der Stadt langsam seine Bahn zog.
Als ich nun den Schwarm ein wenig über den Rand meiner Sonnenbrille (!) hinweg beobachtete, kam doch tatsächlich, zunächst verschwommen, zart und zögerlich, dann jedoch immer klarer und schärfer gezeichnet der Gedanke an – ein Glas Rosé auf. Okay, Rosé im März ist vielleicht ungewöhnlich, aber ich schreibe es jenen ersten Sonnenstrahlen zu, die ich nach vielen düsteren, nasskalten und windigen Wochen plötzlich im Gesicht spürte.
Rosé also. Nun hat Rosé ja nicht den besten Ruf. Und genau damit räumen wir jetzt mal ein bisschen auf! Tatsächlich steht in der Welt des Rosé einem Ozean voll säuerlichem Zeugs nur ein kleiner Teich exzellenter Weine gegenüber. Aber ist das bei Rotwein und Weißwein so viel anders? Dass Rosé insbesondere im deutschsprachigen Raum ein so zweifelhaftes Image hat, den meisten Sommeliers hierzulande kaum mehr als einen Nebensatz wert ist und auf den Weinkarten mancher Restaurants gar völlig fehlt, das liegt nicht am Rosé, sondern daran, dass es im deutschsprachigen Raum einfach keine Tradition und deshalb auch kein Qualitätsbewusstsein für Rosé gibt. Woher auch? Bis tief in die 1980er Jahre waren Rotweinreben in Deutschland eine Seltenheit. Und der schlichte, nicht selten schauerliche Weißherbst sollte hier besser unerwähnt bleiben.
Wir fahren nach Süden, auf der A 7 an Lyon vorbei. Hier im südlichen Frankreich gibt es eine hohe Kultur und große Tradition des Rosé. Alle Dinge von hoher Kultur neigen ärgerlicherweise dazu, teilweise auch sehr hochpreisige Produkte hervorzubringen. Für Kult-Rosés wie von den Domaines Ott oder Chateau Simone werden beispielsweise mindestens 30 Euro die Flasche aufgerufen. Beide können dafür aber auch nach 10 Jahren noch regelrecht vibrierende, wundervolle Weine ohne Altersschäden sein, an die man noch lange zurückdenkt. Doch solche Flaschen suchen wir hier nicht, denn die gibt es sogar bei KaDeWe. Außerdem ist es gerade im Angesicht solcher Premium-Pullen erleichternd schön, sich auch an die leichten, umkomplizierten, sonnigen Rosé-Momente zu erinnern, in denen auch ein etwas kleinerer Wein gut gekühlt und mit der passenden Gesellschaft ganz großes Kino sein kann. Welche Bandbreite!
Es geht weiter, die Rhone entlang. In der Ferne sticht links die Spitze des Mont Ventoux zackig in den blauen Provencehimmel. Der Kunde war hier in früheren Zeiten nicht nur König, sondern Kirchenfürst: Schon die mittelalterlichen Päpste im nahen Avignon schätzten den duftigen hellroten Wein, der zum Beispiel bis heute in einem Ort namens Tavel angebaut wird und deshalb auch so heißt. Probieren! Man kann sagen, dass der Tavel durch Farbe und Duft nahezu unverwechselbar ist.
Wunderbare Rosés finden sich auch in den Villages-Dörfern an der südlichen Rhone. Ich empfehle sehr, in Gigondas mal das Restaurant “Les Florets” aufzusuchen und dort nicht nur gut zu essen, sondern auch ausgiebig in der Weinkarte zu blättern. Es bleibt dann nicht beim Blättern. Seitenlang geht es hier um Rosé und nicht nur einmal war diese von hohen Platanen geschützte Terrasse am Fuße des Montmirail-Gebirges deshalb Ausgangspunkt abenteuerlicher Fahrten über steinige Feldwege auf der Suche nach einem ganz bestimmten, magischen Rosé bzw. seinem Winzer. Letztes mal ging es dabei um die Domaine des Bosquets, wo wir euphorisch den Kofferraum füllten, um diesen besonderen Wein und unseren glücklichen Moment in Besitz und für immer mit nachhause zu nehmen. Das mit dem “für immer” hat übrigens nicht geklappt. Für eine Bezugsquelle in Deutschland wäre ich deshalb dankbar.
Weiter südlich biegen wir links ab Richtung Toulon. Schon bald erreichen wir die Bandol-Region, dicht am Mittelmeer gelegen. Sie bringt ungewöhnliche, kräftige und überaus lagerfähige Rotweine hervor. Und natürlich Roséweine, die als etwas zartere Geschwister der knorrigen Roten an Charakter in der Flasche jahrelang hinzugewinnen können. Das mag an der Nähe zum Meer mit den hohen Tag-Nacht-Temperaturunterschieden liegen, die die Reben herausfordern, robuster machen und für die richtige Balance von Zucker und Säure sorgen
Bei einer Weintour im Bandol war ich vor einigen Jahren überaus begeistert von diesen tief dunklen, fast schwarzen Rotweinen, die weder mit den majestätischen Tropfen der nahen südlichen Rhone noch mit irgendeinem anderen Rotwein wirklich verglichen werden können. Womöglich ist dafür die hier dominante Mourvèdre-Traube ausschlaggebend, die fast überall sonst nur eine Nebenrolle spielt, hier aber die klare Nummer Eins ist.
Leider ist das Bandol, östlich von Marseille und westlich von Toulon gelegen, eine Gegend, deren Gewächse in Deutschland aufgrund der kleinen Mengen und relativ hohen Preise weitgehend unbekannt sind. Wäre da nicht Dirk Lück. Jedes Mal und überall im Bandol steckte man mir seine Visitenkarte zu, wenn ich mich erkundigte, welcher Händler in Deutschland diese ganz besonderen Weine liefern könne. So hatte ich seine Karte auf der Heimreise ungelogen viermal in der Tasche.
Wieder Zuhause angekommen telefonierte ich mit ihm, damals war er mit seinem Weinladen noch in Berlin ansässig und betreibt heute “Mein Weinreich” in München. Unser Telefonat verlief auszugsweise wie folgt:
Lück: “Sie sind aber auch nicht von Berlin, so von der Sprache her.”
Ich: “Nein, ich komme aus dem Saarland.”
Lück: (Pause) “Ach. Ich auch, aus Saarlouis.”
Ich: “Äh, ich auch. Genauer gesagt aus Picard.”
Lück: (zieht hörbar Luft) “Ich auch. Wendalinusweg!”
Ich: “Taffingsweg!”
Bald hatten wir, wie unter Saarländern in der Diaspora üblich, Eltern, Freunde und Bekannte identifiziert und auch meine Sandkastenfreundin nicht ausgespart. Dirk Lück hat aber eine viel größere Herausforderung als fraternisierende Kunden: Er ist wohl Deutschlands bestsortierter Bandol-Händler und muss aufgrund der Tatsache, dass die gefragten Roten dieser Region bis zur Trinkreife schon mal 10 Jahre in der Flasche brauchen, eindrucksvolle Lagerbestände vorhalten. Nur so kann er seinen Kunden einen ausgereiften Wein anbieten, was dankenswerterweise sein Anspruch ist. So ist Lück Herr über tausende Flaschen edelsten Weines, der in Deutschland kaum bekannt war, bis er begann, dies zu ändern.
Die Bandol-Rosés sind was für Erwachsene. Die charakteristisch hell-orangene Farbe, herbe Fruchtigkeit im Duft und knackige Frische im Mund machen diesen Wein zu einem Rosé mit Goldkante, der würzig und kräftig am Gaumen bleibt und Karamell- und Zitrusnoten mitbringt, wie ich sie noch bei kaum einem Wein geschmeckt habe. Eine der in Deutschland häufig (zuletzt in Hamburg) gehörten Abfälligkeiten über Rosé lautet: ‘ein Wein für Leute, die sich beim Essen nicht für einen Wein entscheiden können’. Die Wahrheit ist, dass solcher Rosé derartig vielseitig und in jeder Kombination auf andere Weise köstlich ist, dass man hier nicht den Wein zum Essen auswählt, sondern umgekehrt! Und da geht viel: Asiatisch? Perfekt! Mediterran? Heimspiel! Fisch? Immer! Ok, vielleicht würde bei Wildschwein doch etwas anderes nehmen.
Nun ist sie also da, die von Meister Lück liebevoll zur Post gebrachte Kiste. Darin eine Auswahl ernsthafter Erwachsenen-Rosés aus dem Bandol und der Côtes de Provence-Region. Meine Favoriten habe ich schnell ausgepackt: der “Moulin des Costes” von Bunan und der “Chateau La Tour de l’Eveque”, beide aus dem sonnigen Jahr 2015.
Der Regen peitscht immer noch ans Fenster und ich muss etwas dagegen tun: Rosé kaltstellen. Ihr entschuldigt mich?
À bientôt!
Das Bild “Le jeune dégustateur” von Philippe Mercier (1689-1760) zeigt, dass Interesse an Wein kein Alter kennt. Es hängt im Louvre de Paris.