Rollbraten? Echt jetzt?
Rollbraten? Habe ich gefühlt zum letzten mal Anfang der 90er Jahre gegessen, bei einer Vereinsfeier. Entsprechend verblasst war nach 25 Jahren auch die Erinnerung an den Geschmack. Vielleicht irgendwie trocken und nullachtfünfzehn. Und doch war dieses Retro-Essen in meiner Vorstellung schon lange ein klassischer Kandidat für ein stilvolles Upgrade: Mit Spitzen-Fleisch, einer spannenden Würzung und einer sehr langen Garzeit könnte daraus ein Gericht werden, das in jeder trendigen Berliner Markthalle oder auf manchem ambitionierten Food-Truck Karriere machen würde. Dann stieß ich auch noch auf einen mehrseitigen Artikel zum Thema Rollbraten in einem einschlägigen Magazin, das sich ganz auf Fleischgerichte eingeschossen hat. Von nun an ist der Gedanke eingepflanzt.
Als ich dann letztens beim Metzger ein richtig schönes Nackenstück vom Ibericoschwein liegen sehe, ist es so weit. 931 Gramm Schweinenacken schaukeln im Einkaufswagen. Doch was dazu? Ich stiefele durch die Regalreihen bei Karstadt am Hermannplatz, auf der Suche nach einer kleinen Inspiration. Schwierig. Nicht jeder Tag ist voller Esprit und Geistesblitze, auch nicht bei mir. Plötzlich steht ein alter Bekannter vor mir, den ich dort immer mal wieder treffe, weil wir beide offenbar zur Gruppe derer gehören, die gern am Freitagabend fürs ganze Wochenende einkaufen. “Was suchst Du?”, fragt Matthias und ich berichte von meinem Dilemma. “Zum Rollbraten? Füll ihn doch mit Steinpilzen!”. Super Idee. Also liegt eine sündhaft teure Tüte getrocknete Steinpilze jetzt gleich neben dem Schweinenacken.
Zuhause. “Stein-pil-ze”. Sagt Frau Knauber und zieht das Wort dabei – ebenso beiläufig wie nichts wirklich Gutes verheißend – ein wenig zu sehr in die Länge und ihre Augenbrauen gleichzeitig ein wenig zu sehr in die Höhe. Scheint für sie mit dem Rollbraten mutmaßlich keine perfekte Kombination zu sein …
Da ich ja in erster Linie für Frau Knauber koche und erst in zweiter Linie für meine Leser, dachte ich nochmal drüber nach. Und deshalb lief es dann so:
1 kg Nacken vom Ibericoschwein
3 kleine Chiliknacker
6 große, zarte Blätter Spitzkohl (blanchiert, die harten Rippen entfernt)
3 Gewürzgurken, geviertelt
2 mittelgroße Zwiebeln, geschält und in feine Ringe gehobelt
5 Stengel Petersilie, feingehackt
1/2 Laugenbrezel, gewürfelt (Brezel? Ja, klingt jetzt komisch, aber die Würfelchen halten die Flüssigkeit im Braten und lockern das Ganze interessant auf)
2 EL Kümmel (in der Pfanne ohne Öl kurz angeröstet, bis er intensiv duftet)
1 guter EL Pfeffer aus der Mühle
1 EL getrockneter Majoran
2 EL Paprikapulver, wenn möglich das geräucherte von Weber
2 EL mittelscharfer Senf
2 EL körniger Senf (Maille “Tradition”)
2 EL Salz, besser: Fleur de Sel
1 großes Glas bester Rinderfond, ca. 500-600 ml
1 Flasche Weizenbier
3 Lorbeerblätter
Den Schweinenacken mit einem sehr scharfen Messer längs in einem Zug so von Außen nach Innen aufschneiden, dass ein langer, gleichmäßig dicker Streifen Fleisch entsteht. Jetzt sieht man erst die köstliche Marmorierung und kann einen Moment lang wirklich glauben, dass diese Schweine zu Lebzeiten fröhlich im südwestlichen Spanien halbwild auf der Suche nach Eicheln durch die Wälder streifen.
Der angeröstete Kümmel wird nun zusammen mit dem Fleur de sel im Mörser zermahlen und dann mit dem Pfeffer, dem Majoran und dem Paprikapulver vermischt. Wie das duftet! Jetzt den Braten damit kräftig einreiben und ein paar Minuten ruhen lassen. Dann wird das Fleisch ausgerollt, auf der Oberseite der Länge nach mit dem Senf bestrichen und anschließend mit Zwiebelringen, Gurkenvierteln, Brezelwürfeln und Chiliknackern belegt. Petersilie darüber streuen, dann kommt eine Lage Spitzkohlblätter. Nun den Braten wie eine Roulade langsam und sorgfältig von der kurzen Seite her zusammenrollen und mit zwei Rouladennadeln fixieren. Damit des gute Stück stabil bleibt, wickele ich es jetzt mit Metzgergarn wie in einem Netz ein. Ein Prachtstück!
Wer Röstaromen mag, kann den Braten auf dem gut vorgeheizten Gasgrill scharf anbraten. Ich habe zusätzlich noch mit Buchenholzspänen geräuchert. Foodporn halt. Alternativ tut’s auch eine heiße Pfanne. Ist natürlich nicht so schön wie auf dem Grill. Danach wandert unser Rollbraten in einen offenen Gusstopf oder Bräter und wird mit 0,25 cl Weizenbier abgelöscht. Der Rest ist für den Koch. Nun gieße ich den Fond an und gebe die Lorbeerblätter hinzu. Bei 150 bis 170 Grad ab in den vorgeheizten Ofen, für gut 2 Stunden, gerne auch ein wenig länger. Ich wende ihn zwei, vielleicht auch dreimal und begieße ihn dann immer mit Bratensaft.
Während unser Braten unter Preisgabe unbeschreiblicher Düfte seiner Vollendung entgegengart, mache ich aus dem restlichen, feinstreifig geschnittenen Spitzkohl ein Kohlgemüse und setze Wasser auf, für die Knödel. Ja, die müssen sein, auch wenn das jetzt keine Trennkost ist. Knödelpuristen werden natürlich aufjaulen, aber in diesem Fall dürfen sie auch tiefgekühlt sein.
Nun ist der Braten fertig. Er wird auf einer Arbeitsplatte mit Alufolie abgedeckt, während ich auf dem Herd den restlichen Bratensaft stramm einkoche und abschmecke. Ist er zu intensiv, hilft ein kleiner Schuss Sahne, aber gebunden werden muss diese Sauce nicht mehr: Sie ist würzig, höchst konzentriert und man kann kaum glauben, dass sie während der Garzeit praktisch von selber entstanden ist.
Es wird serviert. Das Ergebnis ist sehr knusprig, innendrin äußerst saftig, die Gewürze haben sich mit den Räucher-Röstnoten zu einer köstlichen Kombination verbunden und die Chiliknacker setzen zusätzliche kleine Highlights. So geht Rollbraten! Mit dem nächsten warte ich garantiert keine 25 Jahre! Und im Lageschrank befindet sich jetzt Dank Frau Knauber noch eine dicke Tüte Steinpilze. Dazu fällt mir irgendwann bestimmt auch noch was ein. À bientôt!
p.s. Das Rezept orientiert sich an einer Vorlage aus “Beef”, Ausgabe 2/2017. Dazu darf ein nicht allzu filigraner Rotwein ins Glas, der mit den Gewürzen und markanten Röstaromen mithalten kann. Vielleicht ein ordentlicher Corbières. Oder ein einfacher Cotes du Rhône, der sich dann aber dem Rollbraten eher unterordnen muss.