Mittags at the Oasis
Ein Mittagessen am Meer, das ist eine der schönsten Ideen vom Essen, die man haben kann und rangiert in meinem persönlichen Sehnsuchtskanon für einen gelungenen Urlaub sehr, sehr weit oben. Es duftet nach Seetang, die Luft ist lau, eine leichte Brise weht das Möwengeschrei herüber und in der Ferne sieht man im Sonnenlicht flirrend eine weißgetünchte Stadt an den glitzernden Wellen stehen …
Dass diese Idealvorstellung Wirklichkeit wird, ist indes leider selten, denn ein Essen am Strand oder direkt an der Küste ist in den wenigsten Fällen gut, meist aber teuer. Dafür sitzt man dann in stylischen Loungemöbeln mit weißen Sonnensegeln hinter mannshohen Plexiglasscheiben als Windschutz gemeinsam mit sehr vielen anderen Menschen herum, die ihre teuren Sonnenbrillen und weißen Designerklamotten herzeigen. Muss man nicht wirklich haben.
Es geht aber auch anders. “Da musst Du mal gewesen sein!”, appellierte mein alter Freund Fabio eindringlich an mich, als er uns ebenso überraschend wie erfreulich für einige Tage in unserem Urlaub an der apulischen Küste Gesellschaft leistete. Wenn ich ihn nicht seit 30 Jahren kennen würde und wüsste, dass er den kulinarischen Verlockungen gegenüber mindestens so aufgeschlossen ist wie ich selbst, hätte ich vielleicht nicht viel darauf gegeben, seinen Lokalpatriotismus in allen Ehren. Aber in diesem Fall war meine Neugier geweckt.
Die “Oasi del Riccio”, zu deutsch Seeigel-Oase, liegt einsam an einem Küstenstreifen zwischen dem Städtchen Monopoli und dem Fährhafen Brindisi. Südlicher geht’s im Süden Italiens kaum noch. Hier in der Oasi ist die Zeit stehengeblieben. Man sitzt sehr rustikal, auf dem Tisch eine Papiertischdecke. Die Oase besteht im Prinzip aus einem Tresen, umgeben von einfachen Plastikmöbeln aus dem Baumarkt. Das alles ist von einem geräumigen Zelt überbaut und die Zeltwände sind zum Meer hin durchsichtig. Davor ist noch eine kleine Terrasse direkt am Ufer. Da sitzen wir. Hier hat noch nie irgendjemand irgendetwas aus dem Manufactum-Katalog bestellt, die Leute mit den weißen Klamotten und teuren Sonnenbrillen sind auch nicht da. Gut so. 1978 dürfte es hier keinen Deut anders ausgesehen haben.
Wie der Name schon sagt: Hier dreht sich – neben anderen, ebenfalls exzellent gemachten Leckereien aus dem Meer – alles um den Seeigel, jenes kleine, stachelige Meerestier, das eigentlich nur in Küstennähe serviert wird und das auch dort oft sündhaft teuer ist. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht sehr oft das Vergnügen mit diesem runden Stachelhäuter hatte. Die wenigen Male waren aber immer ganz besondere Erlebnisse für den Gaumen. Hier gibt es sie in allen Varianten, zum Beispiel eingearbeitet in eine pikante Pastasauce – am liebsten aber roh. Nun steht vor uns ein Blechtablett mit fünfzig Seeigeln à 60 Cent das Stück, ein Körbchen Brot und eine Literkaraffe weißer Hauswein zu 6 Euro, an der das Kondenswasser feinste Perlen bildet. Wir stürzen uns ins Vergnügen. Es schmeckt leicht salzig, fühlt sich angenehm pastös an, und hat man einen gegessen, will man sie alle. Und noch einen. Das lustvolle Massaker nimmt seinen Lauf, und ich kann hinterher nicht sagen, ob es eine halbe Stunde gedauert hat oder nur zehn Minuten. Als der Seeigelrausch vorüber ist, haben wir wieder einen Blick für den Himmel, das Wasser und die verwitterten Felsen an der Küstenlinie. Ein leichter Wind weht den salzigen Duft des Meeres herüber, die Adria glitzert tiefdunkelblau. Ganz weit entfernt sehe ich ein weißgetünchtes Dörfchen in der flirrenden Mittagssonne. Manchmal hat man Glück. À bientôt!
p.s. Natürlich kann so ein Laden auch keine Website haben. Wer aber mal das Glück hat, in der Gegend zu sein, kann die Oasi über Tripadvisor einfacher finden. Von den weniger guten Rezensionen nicht irritieren lassen. Das sind die Leute, denen es nur auf Lounge-Möbeln schmeckt ? https://www.tripadvisor.de/Restaurant_Review-g1575039-d3329724-Reviews-L_oasi_del_riccio-Savelletri_Fasano_Province_of_Brindisi_Puglia.html