Grunzend glücklich in der Steiermark
Ein Schlachtfest in der Steiermark. Wo fange ich an? Beim Rüssel. Die Sau ist schon geschlachtet und hängt auf dem Holzgestell. Riesengroß, wuchtig und in zwei Hälften geteilt, spielt sie heute die Hauptrolle. Denn die 70 Gäste sind nur ihretwegen gekommen: das traditionelle Mangalitza Wollschwein hat zu Recht einen besonderen Ruf, wie anderswo seine grunzenden Duroc- oder schwäbisch-hällischen Artgenossen. Wir sind hier irgendwie reingeraten. Wieder einmal hat mich mein alter Freund Fabio auf die Fährte gesetzt und ist auch mit dabei, im feschen Jankerl. Es ist 11.30 Uhr, und gleich beginnt er, der Sautanz. So nennt man hier in der südlichen Steiermark das traditionelle Schlachtfest. Den ganzen Tag über wird unter freiem Himmel auf urigen Holzöfen gekocht, gebraten und gewurstet wie in alten Zeiten. Und getrunken. Denn Krispel ist eines der führenden Weingüter im steirischen Vulkanland. Sein Sauvignon, seine Weiß- und Grauburgunder und etliche andere Weine liegen in der Spitzengruppe der Region.
Es beginnt vergleichsweise harmlos. Fein gehackte Milz auf Scheibchen von der Semmel gestrichen und in Schmalz gebraten. Dazu sitzen wir in der gemütlichen Bauernstube unter dem Herrgottswinkel und trinken einen frischen „steirischen Junker“, einen schönen Jungwein mit schlanken 12 Prozent Alkohol. Das letzte Mal an diesem Tag, dass das Adjektiv „schlank“ Verwendung finden kann. Denn jetzt wird’s fett. Es geht weiter mit dem Welschriesling. Da kommt hupend Winzer Toni auf dem Fahrersitz einer uralten, motorisierten Gulaschkanone aus italienischen Militärbeständen auf den Hof gefahren. Als er, auf dem Gefährt stehend, eine kurze Begrüßungsrede hält („Wem‘s kalt ist, der soll Schnaps trinken!“), durchbricht die Sonne den herbstlichen Wolkenberg über uns und scheint strahlend durch gelbes und rotes Weinlaub. In der Gulaschkanone ist „saure Suppe“, dazu gibt es kleine, in Zwiebelschmalz gebratene Pfannkuchen aus schlachtfrischem Blut und Mehl. Ein Traum!
13 Uhr. Jetzt müssen auch die Gäste mit ran. Ich schnappe mir ein scharfes Messer und schneide Leber in kleine Stücke für die Riesenpfanne, in der sie gleich mit Majoran, Rosmarin, Pfeffer und einem kleinen Schuss Balsamico auf dem Holzofen gebraten wird. Andere schälen bergeweise Knoblauch und Zwiebeln. Mit der Leber dauert es noch ein wenig. Frau Knauber hat unterdessen in einer Ecke einen Schmalztopf entdeckt. Das Landbrot dazu ist dick geschnitten, die Kruste krachend, innen weich und hat einen zarten Duft nach Kümmel. Herrlich. Dazu ein Schluck Welschriesling aus Gläsern, die uns im Sonnenlicht gleißende Reflexe schenken.
14 Uhr. Nach der Leber geht es wieder in Richtung Gulaschkanone. Eine dunkle, intensive Innereiensuppe ist die nächste Sauerei, die Toni für uns vorgesehen hat. Ich würde sehr, sehr gerne einen zweiten Teller essen, aber der Verstand funktioniert noch und ich weiß, dass dieses Schlachtfest noch stundenlang weitergeht. Also Platz lassen. Wer jetzt schon Mühe hat, kann den Magen mit einem Obstler oder Grappa durchputzen. Hier kommt man schnell ins Gespräch mit den anderen Genießern. Fröhliches Gelächter ist zu hören, und man blickt rundum in heitere, von Kälte und dem einen oder anderen Obstler leicht gerötete Gesichter.
15 Uhr. Man ist immer in Bewegung, so viel gibt es zu sehen und nicht zu verpassen. Hier werden dicke Speckwürfel in einem voluminösen Topf ausgelassen, dort köchelt der Kopf unserer Sau in einer Gemüsebrühe. In einer riesigen Holzwanne werden die Zutaten für die Breinwurst gemischt. Großzügig schüttet Toni eine Schüssel feingehackten Knoblauch dazu. Außerdem kommen noch grobgewolfftes Fleisch und Schwarten, Buchweizen, Majoran und Thymian hinein. Die Wurst wird 45 Minuten gebrüht, darf dann abkühlen, wird später im Backofen gebraten und auf Sauerkraut serviert. Man möchte sich sofort dazulegen. Aber zuerst kommt noch ein sanft im Sud gegartes Krenfleisch mit Apfelmeerrettich. Dazu Sauvignon Blanc. Oder doch lieber Weißburgunder?
Ich bin jetzt an meiner Grenze angekommen. Also gibt’s ein Schnapserl. Und Bewegung. Nicht weit vom Weingut über die Straße ist der Stall der Wollschweine. Dahin spazieren wir und begutachten die kompakten, gut im Futter stehenden Tiere. Stallduft, intensiv. Die Schweine, vom Ferkel bis zur Sau, machen einen fröhlichen Eindruck und grunzen zur Begrüßung. Wenn die wüssten, wo wir gerade herkommen, denke ich mir.
Als wir wenig später an den herbstlichen Rebreihen vorbeigehen und ins Weingut zurückkommen, herrscht dort fröhliche Aufregung: Die Holzöfen sind angefeuert, die Schornsteine rauchen, und die beiden großen Pfannen sind mit heißem Schmalz gefüllt. Jetzt gibt’s Schnitzel! Ich bin beim weißen Burgunder angekommen. Wie schon der Sauvignon: ein toller Wein mit Tiefgang und schöner Mineralität. Man schmeckt den Vulkan. Bei diesem Tropfen bleibe ich jetzt bis zum Ende.
16 Uhr. Endlich. Die Schnitzel, im heißen Schmalz schwimmend ausgebacken, sind fertig! Ich habe mir aus Kapazitätsgründen ein nicht ganz so großes Exemplar geben lassen und trage meinen Teller zurück in die Bauernstube. Die letzte Nachmittagssonne steht tief und scheint durch die Fenster. Ich bin einen langen Moment ganz alleine hier und genieße es, von draußen das Gelächter und die Akkordeonmusik leise herüberklingen zu hören, meinen duftenden Teller vor mir. Ein perfekter Moment. Eine kleine Weile völliges Glücklichsein. Da kommt Fabios Freundin Hannah mit ihrem Teller um die Ecke und ruft strahlend „Schnitzel!“. Sie hat auch eine neue Flasche Weißburgunder mitgebracht.
18 Uhr. Köstlich ist er, der Grappa vom gelben Muskateller. Und jetzt nur noch eine kleine Scheibe vom knusprigen, wunderbaren, zarten Schweinebraten. Amen. Danach tummeln sich immer noch alle im Hof, scherzen, lachen und erzählen. Mittendrin Toni. Breitbeinig steht er da mit einer dicken Zigarre und genießt sichtlich zufrieden den Erfolg seines deftigen Festes, das bei ihm übrigens offiziell unter dem Motto “Die Vermessung der Sau” stattfindet. Die Öfen sind abgekühlt. Inzwischen ist der Mond aufgegangen, so langsam verabschieden sich die ersten Gäste. Wo sie jetzt noch hinwollen, frage ich ein nettes Paar aus Wien. „Na, zum Abendessen!“ Schallendes Gelächter. Ich schließe die Augen. Ich möchte mich jetzt am liebsten sofort in den Boden drehen wie ein Korkenzieher, Wurzeln schlagen und für immer hier bleiben, wo wir den ganzen Tag von so viel Gastfreundschaft, Wärme und Fröhlichkeit umgeben waren.
Wo höre ich auf? Nicht beim Ringelschwänzchen, sondern wieder beim Rüssel. Der schwimmt zum Schluss abseits der sich verabschiedenden Gäste fast unbemerkt in einem großen Suppentopf. Sonst ist von unserer Sau nichts mehr übrig. Danke für dieses Erlebnis.
p.s.: Das Genussgut Krispel ist nach Meinung des führenden alpenländischen Gourmetmagazins Falstaff „eine der interessantesten Genussadressen Österreichs“. Recht hat der Falstaff. Dieser besondere Tag war ein kulinarisches Monument. Und ich bin inzwischen nicht mehr ganz sicher, ob ich ihn wirklich erlebt oder nur geträumt habe. Ich weiß aber, dass ich ganz bestimmt wiederkomme. www.krispel.at