Ganz einfach italienisch
Da stand er vor mir, der Teller. Im ersten Moment, dachte ich, ich werde veralbert. Aber da stand er. Ein Teller, nur mit ein paar Spaghetti, etwas Petersilie und bestem Öl aus der Nocellara-Olive. Und das wars. Keine Sauce, keine Gewürze, keine Meeresfrüchte, Vongole oder was man eben sonst an der sizilianischen Südwestküste erwarten würde. Und es schmeckte tatsächlich fantastisch. Vermutlich eine Kopf-Sache. Wenn man sich auf dieses puristische Konzept innerlich eingelassen hat, dann ist die Petersilie plötzlich zugleich Sauce, Gewürz und Seele dieses Tellers. Das Restaurant “Boomerang” hätte auch für sein unglaublich günstiges Menü (25 Euro für 6 Gänge, meist Fisch, inklusive Wein, Kaffee und Dessert) in Erinnerung bleiben können. Stattdessen ist es dieser eine Teller, auf den wir zuhause auch nach einigen Jahren immer mal wieder zu sprechen kommen.
Ein bisschen steht dieser Teller für die italienische Küche in ihrer puristischen Gesamtheit. Nur ein wirklich hochklassiges Produkt, kurz gegrillt, dazu ein Tropfen Olivenöl und vielleicht ein bisschen Oregano. So findet man sein Essen vom Norden bis tief in den tiefsten Süden des Stiefels in tausenden von Restaurants. Seit ich kürzlich ein Buch mit dem etwas sperrigen Titel “Kulturgeschichte der italienischen Küche” las, weiß ich auch, warum das so ist. Und dass die Küche in Italien immer zwischen zwei extremen Polen schwankt: Hier die verschwenderische Opulenz der antiken Küche, die aber auch in Venedig und in der Renaissance üblich war, dort die puristische Einfachheit, die ebenfalls seit der Antike ihre Jünger hat und die gegenwärtig den italo-Küchenstil dominiert. Frankreich-Freunde unter meinen Lesern brauchen übrigens jetzt keine Sorge zu haben, dass ich vollends zur Toscana-Fraktion übergewechselt wäre. Wenn ich lange genug der schlichten semplicità ausgesetzt war, dann kommt die Lust auf Boeuf Bourgignon und Coq Au Vin ganz von selbst. Aber bleiben wir doch für den Moment in Italien.
So viel mehr kann man aus diesem Buch lernen. Selten ist kenntnisreicher und dichter über Italiens Küche und Köche geschrieben worden. Wie schaffte es zum Beispiel die Nudel in wenigen Jahrhunderten zu so etwas wie dem Symbol für Italiens nationale Einheit zu werden? Wie kochte man eigentlich im Land der Tomatensugos, bevor die Tomate aus dem fernen Amerika mitgebracht wurde? Welchen Einfluss hatten die Päpste und ihre Köche auf die Volksküche und was haben eigentlich die Araber während ihrer 600jährigen Herrschaft über Sizilien alles an den Herden und in den Kochtöpfen der Insel angestellt? Wer sich dafür interessiert, wie sich entwickelt hat, was wir heute auf dem Teller vorfinden, der wird dieses liebevoll ausgestattete Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es sei denn, es kommt ein Teller Pasta mit Petersilie. À bientôt!
Hier geht’s zum Buch:
http://www.chbeck.de/peter-cucina-e-cultura/product/17157
Und hier zum Restaurant “Boomerang”, das man gesehen haben sollte, wenn man durch das westliche Sizilien stromert:
https://www.tripadvisor.de/Restaurant_Review-g616189-d2356338-Reviews-Ristorante_Boomerang-Marinella_di_Selinunte_Castelvetrano_Province_of_Trapani_Sic.html
p.s.: Obiger Teller enthielt neben Pasta und Öl lediglich kleine apulische Tomaten, etwas Mozzarella, wenige Blätter Basilikum und eine Spur Knoblauch. Eine Kreation meiner wunderbaren Frau, ganz in der Tradition der “cucina povera”, mit der sie mich letztens im Urlaub überraschte. Denn Kochen ist ja sonst eher meine Sache.